„Politiker haben den Tod
von Tausenden Alten
mit verschuldet“
Ein
Medizin-Professor klagt an
VERÖFFENTLICHT
AM 11. APRIL 2021
https://reitschuster.de/post/politiker-haben-tod-von-tausenden-alten-mit-verschuldet/
Ein
Leserbrief
Viel zu
lang habe ich wohl geschwiegen. Ich kann aber diese aktuelle Situation nicht
mehr aushalten.
Ich bin
Professor der Medizin, die genaue Fachrichtung spielt keine Rolle. Aber
Patientenversorgung. Seit Jahrzehnten setze ich mich für das Wohl meiner
Patienten ein, bin Krebsspezialist, habe daher täglich mit Menschen zu tun, die
den Tod vor Augen haben.
So geht
es auch einer Tante von mir. Sie ist 98 Jahre alt und wohnt in einer
Seniorenwohnanlage in Rheinland-Pfalz. Zu ihrem letzten Geburtstag im Juni 2020
fuhr ich mit meiner Frau dorthin, vorher telefonisch angemeldet und vereinbart.
Juni 2020 war keine „Hochzeit“ der Corona-Infektionslage. Dies zur Erinnerung.
Man ließ
uns beide aber nicht zu meiner Tante. Nur einer sei erlaubt. Nach energischen
Protesten war es dann doch erlaubt, dass wir beide sie sehen durften, aber nur
jeder für 15 Minuten, einzeln. Nach 4 Stunden Anreise. So saßen erst ich, dann
meine Frau, jeweils 15 Minuten mit meiner Tante in dem großen Speisesaal, 3
Meter getrennt voneinander. Mit Masken. Umarmung war nicht erlaubt. Blumen auch
nicht. Geschenke auch nicht. Die durften wir ihr erst nach nach einer
„Quarantäne“ übergeben. Eine „Aufpasserin“ war dabei, saß 3 Meter von uns
entfernt, hörte jedes noch so persönliche Wort mit. Ich kam mir vor wie in
einem amerikanischen Film, in dem ein Anwalt den Häftling besucht, mit
Polizeiüberwachung genau daneben. Das Heim durfte sie bis September nicht
verlassen. Seitdem jeden Tag für eine halbe Stunde. Erinnert an einen Knast mit
Spaziergang im Hof.
Strich.
Zeitsprung.
April
2021.
Die Tante
wird in wenigen Wochen 99 Jahre alt. Sie hat keine Kinder, meine Frau und ich
sind neben einem anderen entfernten Neffen die einzigen Menschen, die sich um
sie kümmern. Das Heim ist durchgeimpft, bereits im Januar 2021. Dies ging
schnell, war ja Rheinland-Pfalz. In Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen
hätte es wesentlich länger gedauert.
Wenn wir
mit meiner Tante telefonieren, sagt sie uns, dass sie jeden Tag allein essen
muss. Frühstück, Mittagessen und Abendbrot. Wie in der Schule unserer Kinder in
getrennten Gruppen, 2 m Abstand zum nächsten Mitbewohner. Eine Unterhaltung ist
so nicht möglich. Die Alten sehen schlecht und hören schlecht. Andere soziale
Unterschiede kommen noch hinzu. Dabei sind alle geimpft. Dreimal am Tag kommt
eine Pflegerin oder ein Pfleger an die Zimmertür und fragt, ob alles in Ordnung
sei. Ja, natürlich, antwortet sie. Mir geht es gut. Ich bin alt, fast blind,
habe kaum Besuch. Aber ich lebe noch.
Wenn wir
mit ihr telefonieren, sagt sie immer zum Abschied: Ich weiß aber nicht, ob ich
noch sprechen kann, wenn Ihr beim nächsten Mal anruft. Ich spreche ja gar nicht
mehr hier. Wir sind isoliert und wie Gefangene in diesem Heim. So verlernt man
das Sprechen.
Was muten
wir eigentlich den Alten zu?
Es ist
unmenschlich und barbarisch. Wir „halten“ die Alten in den Heimen. Werden dort
„verwahrt“, bis der Tod kommt. Und der kommt, dies ist nicht aufzuhalten. Ob
mit Corona oder ohne. Die politische Führung unseres Landes hat es nicht
geschafft, die Alten zu schützen. Das mittlere Alter der Toten ist 83 Jahre
alt. Bei einer mittleren Lebenserwartung von Männern von 78 Jahren und Frauen
von 82 Jahren. Einige Statistiker erzählen uns zwar, dass bei jedem Coronatoten
9 Lebensjahre geraubt wurden, aber dies kann ich, und von Statistik habe ich
auch Ahnung, nicht ganz nachvollziehen. Dann wären die ja alle 92 Jahre alt
geworden im Mittel.
Eine
Umarmung und das Zeigen von menschlicher Wärme geht auch nicht. Ich denke da
unweigerlich an Merkel, Spahn und Altmaier. Die haben vielleicht nicht, ich
weiß, ich bin da polemisch, das Gefühl von menschlicher Wärme in ihrer eigenen
Umwelt. Aber das ist deren selbstgewähltes Schicksal. Bei den Alten in unserer
Gesellschaft wie meiner Tante ist es nicht selbstgewählt und sie brauchen es so
dringend. Wir im Berufsleben stehende, eigentlich alle Menschen, die sich
selbst noch umfassend bestimmen können, haben dies jeden Tag. Haben Ziele, die
wir erreichen wollen und vielleicht können. Aber die Alten? Die kaum noch mobil
sind? Worauf sollen sie sich freuen? Beförderung? Nächster Urlaub? Neues Auto?
Umzug? Findet doch alles nicht mehr statt. Sie freuen sich auf menschliche
Wärme und Austausch mit uns. Dieses findet aber nicht mehr statt, genommen von
den Menschen in Berlin, den Runden der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten
und Ministerpräsidentinnen und den nachfolgenden Modifizierungen der
Corona-Schutzverordnungen der jeweiligen Länder. Es ist erbärmlich. Dabei hat
genau diese Generation unser Land nach dem 2. Weltkrieg aufgebaut und verdient
eigentlich unseren besonderen Dank und Schutz und Würdigung. Dies verweigern
aber die Regierungen in Bund und Ländern – so scheint es mir.
Nur zur
Klarstellung: Jeder Tote ist immer ein besonderes Schicksal. Ich leide immer
mit, wenn jemand stirbt. Ein Patient, ein Freund, ein Verwandter, jeder Mensch.
Dies ist immer tragisch. Keine Frage.
Die Tante
„vegetiert“ also in ihrem Zimmer dahin. Kein gemeinsames Essen mit den anderen
Bewohnern, keine Kommunikation? Wie brutal ist das denn? Wie können wir dies
den alten Menschen unserer Gesellschaft zumuten? Wo ist der Politiker, der sich
darum kümmert? Ich habe von Frau Merkel und Herrn Spahn noch nichts gehört,
auch von Herrn Wieler nicht, dass dieses Schicksal auch ihnen zu Herzen geht.
Das ist ähnlich wie mit „Homeschooling“. Weder Frau Merkel, noch Herr Spahn
oder Herr Altmaier wissen, da sie keine Kinder haben, dass dies, was wir auch
unserem Nachwuchs zumuten, eine Katastrophe ist. Wielers Kinder sind schon aus
dem Haus.
Es heißt
aktuell, auch vom RKI, wir wissen nicht, ob jemand, der geimpft ist (wie die
Bewohner des Altenheimes) nicht auch COVID-19 übertragen kann. Erst in den
letzten Tagen scheint sich hier eine Erkenntnis durchzusetzen, dass man nach
Impfung vielleicht doch nicht infektiös sein kann.
Hmm.
Darüber muss ich als Arzt und Wissenschaftler erst einmal nachdenken. Gestreng
der Worte „wissen“ wir natürlich nicht, ob Geimpfte diese Erkrankung nicht
übertragen können. Diese Impfung ist zu neu. Aber gibt es denn Anhaltspunkte
dafür, dass Geimpfte diese Erkrankung übertragen könnten?
Bei allen
erfolgreichen Impfungen gegen Viren werden die Menschen immun. Sie können nicht
mehr erkranken an dem Virus. Sie können ihn auch nicht weiter übertragen. Oder
wenn, in nur ganz seltenen Fällen. Statistisch nicht relevant. Die Viren
werden, sollten sie sich in der Nase oder der Lunge festsetzen, sofort vom
Immunsystem erkannt und vernichtet. Das ist ja der Sinn der Impfung. Dies ist
bei allen Virusschutzimpfungen so der Fall.
Die
Ärzte, mit denen ich gesprochen habe, führen dann sofort die
Grippeschutzimpfung an. Hierbei könnte man sich trotz der Impfung mit einem
aktuellen Grippevirus infizieren, dieser kann sich vermehren und man kann
andere Menschen anstecken. Dies ist richtig. Die Grippeschutzimpfung ist aber
auch eine Impfung gegen in der Regel vier unterschiedliche Virusstämme, keine spezifische Impfung
wie bei der COVID-19 Impfung. Dann versagen die Argumente der Ärzte, mit denen
ich darüber spreche. „Wir wissen es halt nicht genau“.
Es ist
also davon auszugehen, dass Geimpfte immun sind gegen diese Erkrankung. Warum
behandeln wir dann die Alten in unserer Gesellschaft so inhuman? Das Heim ist
komplett durchgeimpft. Mir fehlen die Worte, es macht mich ohnmächtig.
Wir lesen
immer von Inzidenzwerten. Leider scheint es so, dass das Verstehen der
Bedeutung eines Inzidenzwertes diametral entgegengesetzt zum Intelligenzwert
des Betrachters. Je mehr ich teste, umso höher ist der Inzidenzwert. Dies ist
inzwischen von vielen Mathematikern und Statistikern mehr als ausreichend
bewiesen. Dabei dürfen wir nicht vergessen: Der Inzidenzwert von 50 wurde von
der Politik eingeführt. Ein höherer Inzidenzwert führt dazu, dass die
Gesundheitsämter die Nachverfolgung der Erkrankungskette nicht mehr
gewährleisten können. Er ist also kein Wert für ein furchtbares
Krankheitsgeschehen, sondern ein Wert für ein furchtbares Versagen unserer
Gesundheitsämter. Diese haben wir trotz des RKI-Gutachtens von 2013
(https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/120/1712051.pdf)
nicht in
die Lage versetzt, bei solchen Pandemien ausreichend zu handeln. Wir (d.h. die
Verantwortlichen in den Ländern und Kommunen) haben es auch nicht geschafft,
nach 13 Monaten angeblicher Pandemie die Gesundheitsämter so digital
auszustatten, dass sie es können. Sie sind immer noch wehrlos. Wir müssen also
auf unsere Grundrechte verzichten, weil der Staat es versäumt hat, die
Gesundheitsämter so auszustatten, dass sie ihrer Aufgabe auch nachgehen können.
Jeder Bürger, auch die Alten, können ihre Grundrechte, die Kanzlerin nennt sie
ja neuerdings „Freiheiten“, nicht ausüben, weil der Staat hier fundamental
versagt hat.
Rechtfertigt
dies eine Einschränkung der Grundrechte? Jeder Jurastudent lernt in der
Vorlesung über Grundrechte: Eine Einschränkung der Grundrechte muss geeignet,
erforderlich und verhältnismäßig sein. Dies betrifft uns alle und auch die
Alten in unserer Gesellschaft.
Unsere
Regierenden, und da bin ich mir heute sicher, haben in so vielen Dingen
versagt. Geeignet? Es gibt bislang keine wissenschaftliche Studie, welche einen
Lockdown als geeignet zur Begegnung einer Viruserkrankung nachgewiesen hat.
Damit
entfällt auch die Bedingung der Verhältnismäßigkeit. Eine massive
Übersterblichkeit konnten wir in 2020 und auch den ersten Monaten 2021 nicht
erkennen. „Aber langfristig betrachtet oder wenn man ein komplettes Jahr für
sich oder einzelne Altersgruppen betrachtet, spielen die Effekte natürlich eine
Rolle. Und die demografischen Verschiebungen führen dazu, dass wir derzeit von
Jahr zu Jahr mit mehr Sterbefällen rechnen.“
Es
starben viel zu viele der Alten, aber vor allem, da wir keine Tests der
Mitarbeiter von Altenheimen und Krankenhäusern sowie ambulanten Pflegediensten
durchgeführt haben, obwohl diese Tests seit letztem Jahr ausreichend zur
Verfügung standen. Die Politiker sagen uns nicht die Wahrheit, wenn sie
behaupten, dass diese erst „jetzt“ erst vorhanden sind (Minister Scholz bei
Anne Will im Februar 2021). Seit letztem Spätsommer sind sie da. Wie kann
Minister Scholz dies ungestraft im öffentlich-rechtlichen Rundfunk so
verbreiten? Da verliere ich nochmals mehr das Vertrauen in unsere Regierung.
Und keiner widerspricht.
Die
Politiker haben diese Möglichkeit der Tests aber nicht erkannt, nicht
wahrgenommen und nicht umgesetzt. Dies ist ihr historischer Fehler, und daran
werden sie sich nachhaltig messen lassen müssen. Sie haben damit den Tod von
Tausenden Alten mit verschuldet. Mit dieser Schuld werden die
Gesundheitsminister von Bund und Ländern in Deutschland leben müssen.
Euer
ERFRIBENDER