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Meine
erste Reise in das Konfliktgebiet in der Ost-Ukraine
Ich wurde
eingeladen, als einer der ersten ausländischen Journalisten das Konfliktgebiet
in der Ost-Ukraine zu besuchen. Hier mein erster Bericht.
von
17. März
2022 17:58 Uhr
Ich habe
schon angekündigt, dass ich diese Woche eine Dienstreise machen und die
Ost-Ukraine besuchen werde. Hier werde ich erzählen, wie es dazu gekommen ist
und was ich am ersten Tag erlebt habe.
Wie es
dazu kam
Ich habe
schon öfter gesagt, dass ich den Donbass besuchen und mir ein eigenes Bild von
der Lage machen möchte. Das wurde nach dem Beginn der russischen
Militäroperation jedoch fast unmöglich, denn wer dort nicht schon vor Beginn
der Operation vernetzt gewesen ist, kommt derzeit kaum hinein. Ich habe es über
viele Wege versucht, aber eine Akkreditierung zu bekommen, wenn man noch nie
dort war, ist momentan fast unmöglich.
Ich habe
jedoch immer wieder Anrufe bekommen, dass es Chancen gebe und dass es bald
losginge, aber danach kam dann nichts mehr. Daher habe ich das auch letzte
Woche, als ich wieder so einen Anruf bekommen habe, ob ich bereit wäre, spontan
mitzufahren, erst einmal nicht ernst genommen. Dann jedoch kam am Samstag der
Anruf, es gehe am Montag um 7.00 Uhr in Moskau los.
Die lange
Reise
Ich habe
daraufhin alle Pläne über den Haufen geworfen und bin nach Moskau geflogen, wo
ich im Hotel die Nacht durchgearbeitet habe, um noch einige Artikel zu
schreiben. Da der Luftraum über Süd-Russland gesperrt ist, mussten wir mit dem
Auto fahren und so trafen wir uns um 7.00 Uhr. Die Gruppe bestand aus sechs
Journalisten, zwei Begleitpersonen und zwei Fahrern und wir fuhren in zwei
Minibussen los. Ich habe die Fahrt fast vollständig verschlafen, was aber
geplant war, da ich während der Reise lieber nachts schreiben und tagsüber
schlafen wollte, damit der Anti-Spiegel keine ganze Woche Sendepause hat.
Wie wir
erst im Auto erfuhren, sollte es nicht in den Donbass gehen. Vielmehr sollten
wir die ersten ausländischen Journalisten sein, die über die Krim in die
Süd-Ukraine fahren dürfen, um uns dort ein Bild von der Lage zu machen. Daher
übernachteten wir in Rostov am Don und fuhren am nächsten Tag über die neue
Krim-Brücke nach Simferopol, was eine Tour von insgesamt 1.900 Kilometern war.
In Simferopol trafen wir am 15. März ein und dort stießen noch andere
Journalisten zu der Gruppe hinzu.
Es wird
ernst
Am 16.
März saßen wir um fünf Uhr morgens in den Bussen und fuhren zu einem
Treffpunkt, wo wir aus unseren zwei Bussen in einen einzigen Bus umsteigen
sollten. Wir bekamen Schutzausrüstung mit „Presse“-Aufschrift und wurden von
hier an von zwei gepanzerten Fahrzeugen der russischen Nationalgarde
(Rosgvardia) eskortiert, in denen etwa 20 bewaffnete Soldaten zu unserem Schutz
saßen.
Die
Rosgvardia ist eine Mischung aus Polizei und Militär, sie bewacht normalerweise
kritische Infrastruktur, kann aber auch bei Aufständen oder im Krieg eingesetzt
werden. In der Ukraine ist eine ihrer Aufgaben, in den Städten, die unter
russische Kontrolle gekommen sind, die öffentliche Ordnung aufrecht zu
erhalten, mit der Stadtverwaltung die organisatorischen Dinge zu koordinieren,
die für das normale Weiterleben nötig sind, und so weiter. Die Jungs waren
freundlich zu uns und bei den vielen Pausen kamen auch nette Kontakte und
Gespräche zu Stande.
Die
Journalisten, die sich mit mir auf den Weg gemacht haben, kommen aus den USA,
den Niederlanden, der Mongolei, Serbien und Italien.
Der erste
Eindruck
Als wir
die Grenze überquerten, war der ukrainische Grenzposten ziemlich zerstört, aber
das war auch alles. Es lagen dann noch einige Autos am Straßenrand, die – wie
uns unser Begleiter erzählte – in aller Eile von der ukrainischen Armee quer
auf der Straße aufgestellt worden waren, um die Straße zu blockieren. Aber
Panzer kann man mit ein paar PKW nicht aufhalten.
Ansonsten
haben wir – von an einigen Stellen beschädigten Leitplanken – keine Schäden
gesehen. Die russische Armee ist dort, ohne auf Widerstand zu stoßen
durchmarschiert, und in allen Orten, an denen wir vorbeikamen, war alles heil,
nicht ein Fenster war kaputt. Auch das Leben ging seinen normalen Gang,
Geschäfte und Tankstellen waren geöffnet, Autos fuhren, Menschen waren auf der
Straße und so weiter. Wenn man es nicht gewusst hätte, hätte nichts darauf
hingedeutet, dass hier gerade eine Armee durchmarschiert ist.
Erfahrene
Journalistenkollegen, zum Beispiel eine holländische Journalistin mit
Syrien-Erfahrung, fand das sehr beeindruckend. Sie erzählte, dass sie das aus
Syrien anders kennt, denn wenn die US-Armee vorrückt, dann fliegen Hubschrauber
vorweg, die auf alles schießen, was sich bewegt, um Hinterhalte zu verhindern.
Selbst wenn dabei keine Zivilisten zu Schaden kommen, ist die Zerstörung dort,
wo die US-Armee vorgerückt ist, beträchtlich, hat sie erzählt.
Das hat
auch der Amerikaner unter den Journalisten bestätigt, der ein ehemaliger
US-Marine ist. Der hat übrigens eine interessante Geschichte, denn er lebt seit
sechs Jahren in Russland und hat politisches Asyl bekommen, weil er in den USA
bei einem heiklen Thema zu viele kritische Fragen gestellt hat. In den USA wird
die Geschichte natürlich anders erzählt, aber das ist ein anderes Thema.
Was
außerdem aufgefallen ist, ist die Armut in der Ukraine. Wer – wie ich –
Russland noch aus den 1990er Jahren kennt, der hatte das Gefühl, eine Zeitreise
zurück in die 90er gemacht zu haben. Russland ist heute ein sauberes Land mit
modernen Städten, in denen ganze Stadtteile neu entstanden sind. Ich habe dazu
mal ein Video verlinkt, dass das deutlich macht.
Die
Ukraine sieht noch genauso aus, wie Russland damals. Kaputte Straßen,
verfallene Bushaltestellen, schlecht gepflegte, halbverfallene Häuser, viele
alte sowjetische Autos und so weiter. Sogar die freudlose Kleidung der Menschen
erinnert an die 90er Jahre in Russland. Das hat mich sehr berührt, weil es
einige Erinnerungen an damals und an die Probleme meiner Freunde in der Zeit
wachgerufen hat. Aber das kann nur verstehen, wer es erlebt hat.
Genitschesk
Unsere
Fahrt ging in die kleine Stadt Genitschesk, die direkt vor Krim auf dem
ukrainischen Festland liegt und im Sommer ein Touristenziel für Badeurlauber
ist. Wir haben dort den Markt besucht, sind durch die Stadt spaziert, haben
eine Ausgabestelle für humanitäre Hilfe besucht und den einzigen Kriegsschaden
gezeigt bekommen, den es dort gegeben hat.
Dass die
Lage nicht vollkommen normal ist, zeigte sich an der Schlange vor einer Bank,
denn anscheinend funktioniert das bargeldlose Zahlen dort derzeit nicht und die
Leute stehen für Bargeld an, was aber Mangelware ist. Ansonsten machte die
Stadt einen ziemlich normalen Eindruck.
Auf dem
Markt durften wir uns frei bewegen, mussten aber zusammenbleiben, damit unsere
Beschützer alles im Blick hatten. Es war für die Einheimischen sicher ein etwas
ungewohnter Anblick, als etwa 12 Leute in Schutzkleidung und mit der Aufschrift
„Press“ in Begleitung von etwa 20 Schwerbewaffneten auf das Gelände kamen.
Die Angst
der Menschen
Ich hatte
erwartet, dass die Gegner der russischen Militäroperation nicht mit uns reden
würden, weil sie Angst vor den russischen Soldaten haben müssten. Es war aber
genau umgekehrt. Die Gegner haben den russischen Soldaten ins Gesicht gesagt,
dass sie nicht willkommen sind und nach Hause gehen sollten. Sie haben ganz
offensichtlich rein gar keine Angst vor den russischen Soldaten und beschimpfen
sie teilweise heftig, was die russischen Soldaten stoisch und reaktionslos
geschehen ließen.
Wer Angst
hat – das haben wir alle schnell bemerkt -, sind die Unterstützer der
russischen Operation. Die gingen an den Soldaten vorbei und flüsterten ihnen
unauffällig Dankesworte und Dinge wie „endlich!“ oder „geht nicht wieder!“ zu.
Die
Unzufriedenen haben sich auch um jedes Mikrofon gerissen und vor jede Kamera
gestellt und ihrem Unmut Luft gemacht, während es schwer war, die Befürworter
der Operation vor die Kamera zu bekommen und zu interviewen. Eine der wenigen
Ausnahmen war eine alte Dame, die sagte, sie sei 72 und habe keine Angst. Sie
hat vor der Kamera fast vor Freude geweint und sich bei Russland bedankt.
Angst so,
habe ich dann in geflüsterten Gesprächen mit einigen Betroffenen erfahren,
haben die Leute davor, dass Russland wieder abziehen könnte und sie dann für
ihre Befürwortung des russischen Eingreifens mit Repressionen und Schlimmerem
rechnen müssten, so wie es seit nach dem Maidan war. Der bekannteste, aber bei
weitem nicht einzige, Fall war die Tragödie von Odessa im Mai 2014 mit über 40 Toten, die
von Maidan-Anhängern bei lebendigem Leib in Odessa verbrannt worden sind.
Diesen Massenmord nennen die Nationalisten in der Ukraine zynisch
„Odessa-Barbecue“ und er wurde bis heute nicht aufgeklärt.
Generell
war das Leben für Regierungsgegner in der Ukraine nach dem Maidan nicht ungefährlich, politische Morde waren keine Seltenheit und auch das UNHCR hat das in seinen Menschenrechtsberichten zur
Ukraine immer wieder erwähnt. Aber es ist das Eine, das zu wissen und darüber
zu lesen, aber es ist etwas völlig anderes, wenn man diese Angst so greifbar
erlebt. Die Angst war auch daran zu sehen, dass viele nicht einmal im
Bildhintergrund zu sehen sein wollten. Die meisten haben die Kameras gemieden
und sind immer hinter den Kameraleuten vorbeigelaufen, um nicht ins Bild zu
kommen.
Und noch
etwas an der Reaktion der Leute war vielsagend. Aufgrund der Tatsache, dass wir
unter dem Schutz russischer Soldaten waren, hätten die Leute der Meinung sein
können, wir seien pro-russisch. Aber als sie hörten, dass wir aus dem Westen
kommen, haben es viele abgelehnt, überhaupt mit uns zu sprechen. Mit russischen
Medien hätten viele wohl gesprochen, aber vor eine holländische, italienische
oder gar amerikanische Kamera wollte fast niemand.
Einer,
der sich dazu bereit erklärt hat, hat darauf bestanden, das Interview auf
Englisch und nicht auf Russisch zu führen, weil er Angst hatte, westliche
Medien könnten ihm das Wort im Mund verdrehen. Das war eine Erfahrung, die ich
in der Ukraine nicht erwartet hätte. Er hat sich dann positiv über die
russische Militäroperation geäußert.
Die
Sorgen der Menschen
Auf dem
Markt waren auch viele Menschen, die sich bitterlich über die Armut beschwert
haben. Rentner müssten ihr ganzes Geld für Strom und Heizung ausgeben, und
hätten kein Geld für Lebensmittel übrig. Wann endlich die Kosten für
Wohnnebenkosten gesenkt und die Renten erhöht würden, haben sie uns
angeschrien, dabei können weder wir Journalisten, noch die russischen Soldaten
etwas für die Höhe der Renten in der Ukraine.
Der Unmut
der Leute darüber ist verständlich und ich habe oft berichtet, dass das ein großes Problem in der Ukraine
ist. Die Russen können dafür jedoch wahrlich nichts, aber für die Kollegen, die
kein Russisch konnten, sah das nach Protest gegen die russischen Soldaten aus,
dabei hatte das (sehr berechtigte) Geschimpfe dieser Menschen nichts mit den
Russen zu tun. Viele Rentner beklagten sich, dass ihre gesamte Rente für die
Wohnnebenkosten drauf geht und sie nur überleben können, weil ihre Kinder oder
Freunde ihnen Essen geben.
Anders
waren die Eindrücke, als wir dann vom Markt mit den vielen Menschen weggegangen
und durch die Stadt spaziert sind. Wenn die Menschen alleine mit uns sprechen
konnten, ohne sich von einer Menschenmasse beobachtet zu fühlen, waren sie
gleich viel offener. Besonders eindrücklich war eine alte Dame, eine Babuschka
wie aus dem Bilderbuch, die in einem von einem Zaun aus Metallplatten umzäunten
Haus wohnt. Als unsere Gruppe vorging, bellten alle ihre Hunde und sie kam zum
Tor und murmelte, was denn das los sei, dass die Hunde so verrückt spielen.
Als sie
das Tor öffnete stand sie vor fünf Journalisten in Schutzwesten und Helmen und
drei schwerbewaffneten Soldaten, die da gerade an ihrem Haus vorbeigingen und
sie machte ein sehr verdutztes Gesicht. Aber sie war unglaublich freundlich,
fragte, wer wir seien und so weiter. Als ich ihr sagte, wir seien ausländische
Journalisten und ob sie den Kollegen etwas ins Mikrofon sagen wollen, fragte
sie: „Für welche Seite?“
Da
mussten wir alle (auch die Soldaten) lachen, und als sie verstanden hatte, dass
sie sagen kann, was sie will, machte sie bereitwillig mit. Sie hat dabei
einfach nur um Frieden gebeten und beklagt, dass immer „die Jungs“ darunter
leiden müssen, wenn „die da oben“ sich mal wieder streiten. Jetzt würden auf
beiden Seiten Jungs sterben, die doch alle eigentlich zusammengehören und
slawische Brüder seinen, wobei sie die russischen Soldaten direkt angesprochen
hat, die dazu nickten. Sie hielt eine Rede für den Frieden, wie ich sie selten
so überzeugend gehört habe. Sie war eine wirklich liebenswerte Frau und ich
sehe ihr offenes Lächeln immer noch vor mir.
Humanitäre
Hilfe
Im Westen
wird nicht über die humanitäre Hilfe berichtet, die Russland leistet. In
Russland wird hingegen gescherzt, dass es bald keinen Zucker und kein Mehl mehr
gibt, weil das als humanitäre Hilfe in die Ukraine geht. Und in der Tat haben
wir auf unserer langen Fahrt von Moskau auf die Krim viele lange LKW-Konvois
mit humanitärer Hilfe gesehen.
Wir haben
auch eine Ausgabestelle für humanitäre Hilfe besucht, bei der sich jedoch viele
beschwert haben, dass es nicht genug Hilfe gebe und dass sie schon einige Male
mit leeren Händen gehen mussten. Woran das liegt, kann ich nicht beurteilen,
denn aus den Flüchtlingslagern weiß ich, dass es da genug für den nötigen
Bedarf gibt. Vielleicht hat Russland das Problem der Flüchtlinge unterschätzt,
ich weiß es nicht. Aber die schiere Menge an LKW auf Russlands Autobahnen hat
gezeigt, dass wirklich viel geliefert wird, wir waren auf der Fahrt sehr überrascht
über die große Zahl an Hilfskonvois.
Bei der
Ausgabestelle war es wieder ähnlich, wie auf dem Markt: Einige wollten nicht
vor die Kamera und wollten nicht reden. Aber hier war die Angst nicht so
deutlich zu spüren, wie auf dem Markt. Eine Frau hatte gar keine Angst. Sie
stand in der Schlange und beschwerte sich auch, dass sie schon einige Male
umsonst hier gewesen sei, aber sie sagte deutlich, wie sehr sie sich über die
Russen freue.
Sie hat
geschwärmt, wie viel besser es vor dem Maidan („unter Janukowitsch“ wie sie
immer wieder sagte) gewesen sei. Nach dem Maidan seien alle größeren
Arbeitgeber der Region pleite gegangen, die Arbeitslosigkeit sei hoch, die
Armut schlimm. Und natürlich kam wieder die Beschwerde über die
Wohnnebenkosten, die man nicht bezahlen könne. Sie käme aus dem Nachbardorf,
habe einige Kühe und wolle nur, dass sie ihre Milch wieder zu einem
vernünftigen Preis verkaufen und ihren Kindern eine Zukunft bieten kann.
Die
Spaltung
Der
Maidan hat die Menschen in der Ukraine gespalten, das merkt man deutlich. Mein
Eindruck ist, dass in dem Ort, wo wir waren, die Zustimmung zur russischen
Militäroperation überwiegt. Die Gegner davon sind lauter, aber in meinen Augen
eine Minderheit, denn sobald es keine Menschenmenge gab, hörte man zwar
Beschwerden über diese oder jene Schwierigkeit, aber keine explizit
anti-russischen Aussagen, wie auf dem Markt. Die Stimmen auf dem Markt waren
zwar lauter, aber wohl keine Mehrheit, wie die vielen geflüsterten „Danke
schön“ gezeigt haben. Aber das ist mein subjektiver Eindruck.
Die
Gegner der russischen Operation sagten, dass hundert Prozent der Menschen
dagegen seien, was die vielen anderen Stimmen widerlegen. Die Unterstützer der
Russen sagten, dass 90 Prozent so denken, wie sie. Ob das stimmt, weiß ich
natürlich auch nicht. Aber das zeigt, wie tief das Land nach dem Maidan
gespalten wurde.
Interessant
waren zwei alte Herren, die unbedingt von dem mongolischen Kamerateam
interviewt werden wollten. Sie führten dann in dem Interview ein regelrechtes
Streitgespräch, bei dem der eine eher für die russische Operation war, der
andere hingegen absolut dagegen. Es war interessant, die beiden argumentieren
zu hören.
Es wird
ein langer Weg, diese Spaltung wieder zu kitten.
Sonstige
Eindrücke
Übrigens
ist es für Ukrainer möglich, auf die Krim zu kommen. Ich hätte gedacht, diese
Grenze sei geschlossen. Aber es standen viele zivile Fahrzeuge vor der Grenze,
die zwar sehr streng kontrolliert werden, aber am Ende passieren dürfen. Dabei
handelt es sich um Flüchtlinge, die in Russland Schutz suchen, zum Beispiel bei
Verwandten.
Und ich
habe den Krim-Kanal gesehen, den die Ukraine nach dem Maidan blockiert hat,
weil sie die Insel von der Wasserversorgung abschneiden wollte. Die Krim war
auf das Wasser angewiesen und für Russland war es ein echter Kraftakt, die
Wasserversorgung in den letzte acht Jahren aufrecht zu erhalten. Seit russische
Truppen den Kanal unter Kontrolle haben, fließt das Wasser wieder.
Wir
haben, wie gesagt, praktisch keine Kriegsschäden gesehen, wenn man von den
Grenzbaracken, ein paar umgekippten Autos und kaputten Leitplanken absieht. Der
einzige Kriegsschaden, den wir gesehen haben, betraf eine Brücke vom Festland
auf die Krim. Ukrainische Soldaten hatten in aller Eile versucht, sie zu
sprengen, um die russische Armee aufzuhalten, aber es brach nur eine Seite der
Fahrbahn ein, die andere Hälfte der Brücke ist normal befahrbar.
Was uns
verboten war
Es hat
mich überrascht, als uns der leitende Offizier unserer Beschützer die Liste der
Verbote eröffnete, denn sie bestand aus nur einem Punkt: Das Filmen und
Fotografieren von Soldaten ohne Gesichtsmaske ist nicht erlaubt. Kontrolliert
hat das allerdings niemand, die Anweisung wurde gegeben und das war alles.
Ansonsten
sollten wir einigermaßen zusammenbleiben, aber da taten mir unsere Beschützer
leid, denn daran haben sich die neugierigen Journalisten kaum gehalten, als sie
zum Beispiel sofort über das Gelände des Marktes ausgeströmt sind und sich auf
der Suche nach Interview-Partnern in den Gassen zwischen den Marktständen
verteilt haben.
Fazit
Dort, wo
wir waren, geht das Leben weitgehend seinen normalen Gang. Schockiert hat mich
die Angst der Menschen, die die russische Seite unterstützen. Das zu sehen,
dieses Unbehagen der Menschen, das war bedrückend. Auch die sichtbare Armut der
Ukraine hat mich überrascht. Ich hätte nicht erwartet, dass man das so deutlich
sehen kann. Die Infrastruktur ist noch aus der Sowjetunion und seitdem wurde
nicht viel getan, vieles ist verfallen, vor allem die leer stehenden Fabriken
und die wirklich schlechten Straßen fallen auf.
Gefreut
hat mich die Antwort eines Mannes auf die Frage, ob in der Stadt mehr Russen
oder Ukrainer leben. Seine Antwort war:
„Da
machen wir keinen Unterschied! Außerdem leben hier so viele Völker; Armenier,
Georgier, Griechen, wir sind alle eine Familie!“
Das
wünsche ich mir für die Ukraine, dass sie wieder dahin zurückfindet: Eine große
Familie zu sein, denn das wollten die Maidan-Regierungen der Ukraine austreiben,
indem sie auf radikalen Nationalismus gesetzt haben.
Ich werde
diesen Artikel veröffentlichen, wenn wir die zweite Reise hinter uns haben,
denn die soll nach Melitopol gehen, das ja einige Schlagzeilen gemacht hat und
wesentlich tiefer im Hinterland liegt. Diese Information möchte ich aber vor
Ende der Fahrt nicht veröffentlichen.
Melitopol:
Meine zweite Reise in das Konfliktgebiet in der Ost-Ukraine
Die
zweite Fahrt in das Konfliktgebiet hat uns fast 200 Kilometer tief in das
Hinterland geführt. Wir waren in Melitopol, einer Stadt, die in den letzten
Tagen einige Schlagzeilen gemacht hat.
vom
18. März
2022 17:49 Uhr
Nachdem
unsere erste Fahrt ins nur wenige Kilometer hinter die Grenze
geführt hat, sollte es am zweiten Tag nach Melitopol gehen. Die Stadt liegt
etwa 180 Kilometer hinter der Grenze und sie hat in den letzten Tagen einige
Schlagzeilen gemacht, weil der dortige Bürgermeister angeblich von der
russischen Armee entführt und dann gegen russische Kriegsgefangene ausgetauscht
worden ist. Wir waren alle sehr neugierig auf die Menschen dort, nachdem wir
bei der ersten Reise schon die Angst der Menschen vor Ort gespürt haben.
Die
Abfahrt
Es ging
wieder um fünf Uhr morgens los und wir fuhren wieder zu dem gleiche Treffpunkt
wie am Vortag, wo wir wieder in einen 16-Personen-Bus umgestiegen sind. Zu
unserer Freude waren unsere Beschützer wieder die gleichen, wie am Vortag. Vor
allem mit dem Kommandeur – nennen wir ihn Ivan -, der bei uns im Bus
mitgefahren ist, hatte ich mich gut und interessant unterhalten. Da der
amerikanische Journalist John, ein ehemaliger US-Marine, wegen Fieber nicht
mitfahren konnte, gab es einige Scherze. Ivan meinte, so sei das mit
amerikanischen Soldaten: Ein Tag in Kontakt mit der russischen Armee und schon
liegen sie flach.
Darüber
mussten wir alle lachen, aber Ivan entschuldigte sich sofort, und bat uns, John
Genesungswünsche auszurichten, denn die beiden hatten sich gut verstanden und
immer wieder über die russische Militärtechnik gefachsimpelt. John hat abends,
als wir ihm das erzählt haben, auch sehr darüber gelacht.
Wir
fuhren dann zu einem Treffpunkt, wo wir uns einer großen Militärkolonne aus
gepanzerten Fahrzeugen und LKW anschlossen, mit der wir in Richtung Melitopol
aufbrachen. Die Fahrt dauerte fast vier Stunden, weil so eine Kolonne nun
einmal recht langsam unterwegs ist. Am Stadtrand von Melitopol übernahmen dann
wieder zwei gepanzerte Fahrzeuge unseren Schutz.
Melitopol
Auf der
ganzen Fahrt haben wir wieder keine Kriegsschäden gesehen. Erst am Stadtrand
von Melitopol waren zwei halb zerstörte Tankstellen zu sehen. Die Stadt selbst
war vollkommen unbeschädigt, auch hier war nicht eine Scheibe kaputt gegangen.
Das hat uns sehr überrascht. Aber in der Stadt wurde uns dann von den Menschen
und den Vertretern der Behörden übereinstimmend erzählt, wie die Übernahme von
Melitopol abgelaufen ist.
Der
Bürgermeister der Stadt hatte der russischen Armee mitgeteilt, Melitopol sei
eine russische Stadt und sie werde keinen Widerstand leisten. Die russische
Armee ist kampflos in die Stadt eingerückt, hat nur etwa 50 Soldaten
zurückgelassen, die mit der Stadtregierung zusammenarbeiten sollten, und dann
ist die Armee weitergezogen.
In der Nacht
sind dann Nazi-Einheiten in die Stadt eingedrungen und haben die russischen
Soldaten angegriffen und regelrecht abgeschlachtet. Eine Anwohnerin hat uns
berichtet, dass all das vor ihren Augen abgelaufen sei, die toten Soldaten
seien geplündert und ihre Leichen geschändet worden. Daraufhin kehrten
Einheiten der russischen Armee zurück und vertrieben die Nazis aus der Stadt,
wobei es Schießereien gegeben habe, aber „nur“ mit Handfeuerwaffen, schwere
Waffen sind dabei nicht zum Einsatz gekommen. Danach wurde eine größere
russische Einheit in der Stadt belassen und seitdem ist es in der Stadt ruhig.
In
Melitopol ist die Lage ungefähr so, wie in Genitschesk, wo wir am Tag zuvor
gewesen sind. Die Menschen sind unterwegs, die meisten Geschäfte sind geöffnet,
allerdings gab es auch hier lange Schlangen vor den Banken, weil der
elektronische Zahlungsverkehr nicht funktioniert und die Leute Bargeld abheben
wollen, wovon es aber zu wenig gibt.
Die
Korruption
Unsere
erste Station in Melitopol war die Stadtverwaltung. Auf dem Platz davor gab es
eine große Menschenmenge, die sich aber nicht als Kundgebung oder Demonstration
entpuppte, sondern als Ausgabestelle für humanitäre Hilfe. Russische Soldaten
gaben dort Lebensmittel und andere lebensnotwendige Dinge an die Bevölkerung
aus.
Wie uns
Passanten erzählten, war nach der Übernahme der Stadt die Stadtverwaltung für
die Ausgabe der humanitären Hilfe zuständig, die aus Russland geliefert wird.
Ein Mann sagte mir mit bitterem Humor, dass das Wort „Ukraine“ nicht das Land bezeichne,
sondern von dem Wort „ukrast“ (auf Russisch „klauen“ oder „stehlen) komme, denn
in den ersten Tagen wurden kaum Hilfsgüter verteilt, stattdessen landeten die
in Geschäften und wurden verkauft. Um dem ein Ende zu setzen, hat die russische
Armee die Verteilung der Hilfsgüter in Melitopol selbst übernommen.
Die
Korruption in Melitopol scheint haarsträubend zu sein, denn über die entsetzten
Gesichter ausländischen Journalisten konnten die Menschen nur lachen, für sie
war dieses korrupte Vorgehen der Stadtregierung vollkommen normal. Ein weiteres
Beispiel hat uns ein anderer Mann erzählt, aber dazu kommen wir, wenn ich von
der Rückfahrt berichte.
Die
Bürgermeisterin
Die neue
Bürgermeisterin der Stadt hat uns eine Pressekonferenz gegeben, die mit einer
Erklärung von ihr begann und danach konnten wir Fragen stellen, wobei mir
notgedrungen die Rolle des Dolmetschers zufiel, weil die Stadtverwaltung nicht
daran gedacht hatte, einen Dolmetscher zu organisieren, damit die ausländischen
Journalisten auch verstehen, was da gesagt wurde. Ich war der einzige weit und
breit, der sowohl Russisch als auch Englisch gut beherrscht.
Ihr
Vorgänger als Bürgermeister der Stadt hat einige Schlagzeilen gemacht, weil er
angeblich von der russischen Armee entführt und dann gegen einige russische
Soldaten ausgetauscht worden ist. Die neue Bürgermeisterin erklärte, dass ihr
Vorgänger seine Aufgaben nach der Ankunft der russischen Armee nur sehr
unwillig ausgeführt, dann schriftlich seinen Rücktritt erklärt und sie zu
seiner Nachfolgerin ernannt hat, bis es zu Neuwahlen kommt. Die entsprechende,
von dem Bürgermeister unterschriebene, Erklärung hatte sie dabei und sie hat
sie uns gezeigt.
Ansonsten
erklärte sie, dass die Stadtverwaltung alles in ihrer Macht stehende tue, um
das normale Leben weiterlaufen zu lassen. Strom, Wasser und Heizung funktionieren,
die städtische Infrastruktur auch. Das wichtigste sei, dass es zu keiner
humanitären Katastrophe komme, aber die Lage sei insgesamt nicht schlecht und
unter Kontrolle.
Natürlich
fragten die Kollegen sie dann zu der Geschichte mit ihrem Vorgänger. Sie
erzählte, dass der Bürgermeister keineswegs entführt worden sei, sondern dass
er ein Unterstützer des Rechten Sektors, einer neonazistischen Organisation in
der Ukraine, sei. Die Staatsanwaltschaft von Lugansk habe gegen ihn ermittelt,
weil er an der Finanzierung von Sabotageakten des Rechten Sektors in Lugansk
beteiligt sein soll, was dort als Terroranschläge eingestuft wird. Er sei dann
auf Betreiben der Staatsanwaltschaft festgenommen worden. Was danach passiert
ist, ob er ausgetauscht worden ist, wie die Medien gemeldet haben, oder nicht,
das entziehe sich ihrer Kenntnis.
Auf
weitere Fragen hin erzählte sie, dass etwa 20 Prozent der Bevölkerung bei
Beginn der russischen Militäroperation geflohen sei, dass aber inzwischen viele
Menschen zurückkehren, weil die Lage in Melitopol ruhig ist. Außerdem nehme die
Stadt gerade viele Flüchtlinge aus Mariupol auf. Auf die Frage nach der
Zukunft, ob diese Teile des Landes Teil der Ukraine bleiben, oder sich nach dem
Beispiel von Donezk und Lugansk von der Ukraine lossagen, wollte sie nichts
offizielles antworten. Sie unterstrich daher mehrmals, dass sie nur ihre
private Meinung wiedergibt, wenn sie sagt, sie wünsche sich, dass Melitopol ein
Teil Russlands wird. Aber das sei – das war ihr wichtig – nur ihre eigene, ganz
persönliche Meinung.
Die
Ängste der Menschen
Schon am
Vortag haben wir erlebt, dass die Menschen große Angst haben. Das wurde in
Melitopol noch deutlicher als in Genitschesk. Und wieder sind es nicht die
Gegner der russischen Operation, die Angst haben, sondern die Befürworter. Die
Gegner schreien russische Soldaten an, sie sollten verschwinden, während die
Gegner ihnen unauffällig Dankesworte und Dinge wie „endlich!“ oder „geht nicht
wieder!“ zuflüstern.
Angst so,
habe ich auch hier wieder in geflüsterten Gesprächen mit Betroffenen erfahren,
haben die Leute davor, dass Russland wieder abziehen könnte und sie dann für
ihre Befürwortung des russischen Eingreifens mit Repressionen und Schlimmerem
rechnen müssten, so wie es seit nach dem Maidan in der Ukraine üblich war. Der
bekannteste, aber bei weitem nicht einzige, Fall war die Tragödie von Odessa im Mai 2014 mit über 40 Toten, die
von Maidan-Anhängern bei lebendigem Leib in Odessa verbrannt worden sind.
Diesen Massenmord nennen die Nationalisten in der Ukraine zynisch
„Odessa-Barbecue“ und er wurde bis heute nicht aufgeklärt.
Generell
war das Leben für Regierungsgegner in der Ukraine nach dem Maidan nicht ungefährlich, politische Morde waren keine Seltenheit und auch das UNHCR hat das in seinen Menschenrechtsberichten zur
Ukraine immer wieder erwähnt. Aber es ist das Eine, das zu wissen und darüber
zu lesen, aber es ist etwas völlig anderes, wenn man diese Angst so greifbar
erlebt. Die Angst war auch daran zu sehen, dass viele nicht einmal im
Bildhintergrund zu sehen sein wollten. So, wie auch in Gelintschesk, haben die
meisten Menschen haben die Kameras gemieden und sind immer hinter den
Kameraleuten vorbeigelaufen, um nicht ins Bild zu kommen.
Nach der
Pressekonferenz haben wir mit Menschen auf dem Platz vor der Stadtverwaltung
gesprochen und es war das gleiche Bild, wie in Genitschesk. Die Gegner der
russischen Operation waren laut und drängten sich vor jedes Mikrofon, während
die Befürworter eher abseits standen und leise mit anderen Journalisten
gesprochen haben. Allerdings entwickelte sich bei einem Interview, das die
mongolischen Kollegen machten, ein so heftiges Streitgespräch zwischen einer
Gegnerin der russischen Operation und einem Befürworter, dass wir schon
befürchteten, das könnte zu einer größeren Schlägerei eskalieren, weil sich die
Emotionen so sehr hochgeschaukelt haben. Die Gegnerin der russischen
Militäroperation schrie, dass Russland am 24. Februar alle Sympathien verspielt
hätte, der Befürworter forderte lautstark ein Referendum über die Zukunft der
Region. Er war einer der wenigen, die offensichtlich keine Angst haben.
Da die
Lage zu eskalieren drohte, beschlossen wir, diesen Platz zu verlassen und wurden
in den Stadtpark gefahren. Dort waren weniger Leute und man konnte in Ruhe mit
ihnen sprechen. Und wieder zeigte sich, was wir schon in Genitschesk erlebt
haben: Sobald es ruhig ist und kein Massenandrang da ist, werden sie Leute
offener. Im Park haben uns sehr viele von Repression und Unterdrückung nach
2014 erzählt, es waren so viele Beispiele, dass ich sie nicht aufzählen kann.
Eines
will ich aber erzählen. Ein alter Herr hat uns erzählt, er sei Mitglied einer
Oppositionspartei und eines Tages sei deren Parteibüro angezündet worden.
Obwohl die Täter bekannt waren, wollten Polizei und Staatsanwaltschaft lange
Zeit nicht ermitteln. Es kostete ihn viel Mühe, die Täter schließlich doch vor
Gericht zu bringen. Sie wurden dann „im Januar“ – wie er sagte – verurteilt;
einer zu viereinhalb Jahren, zwei zu je drei Jahren Gefängnis. Aber schon im
Februar wurde eine Amnestie ausgesprochen und die Täter waren wieder frei und
auch den Schadenersatz für den entstandenen Sachschaden haben sie trotz
Gerichtsurteil nie bezahlt.
Ein Mann
hat darauf bestanden, mir und den holländischen Kolleginnen einen Kaffee
auszugeben. Es war uns zwar unangenehmen, das anzunehmen, aber er ließ sich
nicht davon abbringen und da wir seit 5 Uhr morgens unterwegs waren, tat der
Kaffee sehr gut. Selbst kaufen konnten wir nirgends etwas, weil wir kein
ukrainisches Geld hatten und russische Rubel (noch?) nicht akzeptiert werden.
Die
Wirtschaft
Danach
fuhren wir in eine Fabrik, die Teile für den Maschinen- und Fahrzeugbau
herstellt. Der Direktor der Fabrik erzählte uns, dass in der Fabrik früher mal
über tausend Menschen gearbeitet hätten, inzwischen seien es nur noch hundert.
Nach dem Maidan hat die ukrainische Regierung die Wirtschaftsverbindungen zu
Russland fast vollständig gekappt, weshalb fast alle Industriebetriebe der
Ukraine pleite gegangen sind. Diese Fabrik ist eine der wenigen, die noch
arbeiten. Der Direktor sprach daher auch von der Hoffnung, dass sich der
russische Markt für sein Unternehmen nun wieder öffnen werde.
Ein
weiteres Problem ist die Landwirtschaft, die in der Ukraine mit ihren
fruchtbaren Böden ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist. Demnächst beginnt die
Aussaht und im Radio haben wir auf der Fahrt spezielle Erklärungen der
„Militärverwaltung der befreiten Territorien“ gehört. Darin wurde den Bauern
und landwirtschaftlichen Betrieben mitgeteilt, dass sie alles, was sie
brauchen, also Saatgut, Dünger, landwirtschaftliches Gerät, etc., „zu den
günstigeren russischen Preisen“ erwerben können und dass die Logistik dafür stehe.
Nichts stehe einer normalen Saison im Wege.
Verbotene
Streumunition in Melitopol
Wir
hatten übrigens durchaus Einfluss auf die Route. Nach dem Besuch der Fabrik
drängten unsere Beschützer darauf, wir sollten zurückfahren, denn der Weg sei
lang und sie wollten uns vor Einbruch der Dunkelheit zurück auf die Krim
bringen. Aber wir hatten von Zivilisten gehört, in einem Wohngebiet sei eine
ballistische Rakete von Typ Totschka-U mit verbotener Streumunition
runtergegangen. Das wollten wir unbedingt noch sehen und so haben wir die
Soldaten überredet, zuerst noch dahin zu fahren, bevor es auf die Rückfahrt
geht.
Die
russische Luftabwehr hat Anfang März eine ukrainische Rakete vom Typ Totschka-U
abgeschossen, die mit verbotener Streumunition (auch „Kassettenmunition“
genannt) bestückt war. Die Rakete fiel auf ein Wohngebiet von Melitopol, wobei
sie einige der Kassetten mit Streumunition verloren hat, die in dem Wohngebiet
explodiert sind. Die Schäden waren beeindruckend, denn in ihrem Umkreis war
alles buchstäblich durchsiebt.
Eine
Kassette ist auf ein kleines Grundstück gefallen, das einem Taxiunternehmer
gehört. Sie ist direkt auf eines seiner Autos gefallen und explodiert. Dabei
sind die Autos nicht nur durchsiebt worden, sondern auch ausgebrannt. Zwei
Häuser weiter ist ein 12-jähriger Junge von einem Splitter einer anderen
Kassette im Nacken getroffen worden. Er wurde zwar notoperiert, ist dann aber
verstorben.
Die
Anwohner waren ausgesprochen erpicht darauf, mit uns zu sprechen und uns davon
zu erzählen. Auch die Rakete selbst konnten wir uns anschauen, denn sie wurde
von der Straße entfernt und liegt im Unterstand auf dem Grundstück einer dort
lebenden Familien. Die Menschen haben mit uns geredet, uns auf ihre Grundstücke
und in ihre Häuser gelassen, um uns die Schäden zu zeigen.
Der
Anhalter
Anschließend
ging es auf die Heimfahrt und dabei ist der letzte Stopp immer der Ortseingang,
denn – Sie kennen das aus dem Fernsehen – es wird in Reportagen meistens das
Ortseingangsschild gezeigt. Daher war das immer der letzte Stopp, damit die
Journalisten, die Videoreportagen machen, das Schild filmen können.
Während
ich bei den Fahrzeugen gewartet und mich mit den Soldaten unterhalten habe, kam
ein Zivilist mit zwei Tüten in der Hand angelaufen. Er fragte die Soldaten, ob
sie eines der vorbeifahrenden Autos anhalten könnten. Er würde zehn Kilometer
außerhalb der Stadt wohnen und niemand wolle anhalten und ihn mitnehmen,
solange die Militärfahrzeuge hier stünden. Während ein Soldat sich aufmachte,
um das nächste Auto für ihn zu stoppen, sagte der Kommandant nur: „Lass sein,
wir nehmen ihn mit, liegt doch auf dem Weg“
So stieg
der Mann in unseren Bus und wir konnten uns einige Zeit mit ihm unterhalten.
Ich habe ihm viele Fragen gestellt und er hat bereitwillig erzählt. Er
erzählte, dass er von dem Beginn der Militäroperation kaum etwas mitbekommen
hat. Er stand eines Morgens auf, hörte in der Ferne ein paar Schüsse und hat
gesehen, wie „die ukrainischen Jungs weggelaufen“ sind. Das war alles, was er
mitbekommen hat. Dann seien eben die russischen Truppen mit ihren Fahrzeugen
durchgerauscht und das war’s, so sagte er.
Er selbst
outete sich als klarer Befürworter der russischen Operation. Er sagte, die
Soldaten seien immer freundlich und vor allem sei die Korruption in der Ukraine
einfach unerträglich geworden. So habe sich der Vor-Vorgänger der jetzigen
Bürgermeisterin von Melitopol einfach alle Grundstücke angeeignet, die ihm
gefallen hätten.
Melitopol
ist bekannt für seine Kirschen und vor 2014 seien viele Touristen aus Russland
und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken in Melitopol gewesen und die Kirschen
wurden nach Russland exportiert. Nach 2014 habe der Bürgermeister sich einfach
das Land vieler Kleinbauern überschrieben, alle Beschwerde seien vom Gericht
abgeschmettert worden. Es sei immer unerträglicher geworden und auch dessen
Nachfolger (also der, den die russische Armee angeblich entführt hat) sei nicht
besser gewesen. Der Anhalter erzählte, er und die meisten seiner Freunde und
Bekannten seien daher für die russische Operation, weil sie einfach nur hoffen,
dass endlich wieder Recht und Ordnung einkehren.
Die
häufigste Beschwerde in der Ukraine
Ich habe
oft berichtet, dass das wohl wichtigste Thema in der Ukraine die Höhe der
Wohnnebenkosten, also Wasser, Strom und Heizung, ist. Nach dem Maidan wurden
die staatlichen Subventionen auf Druck des IWF abgeschafft, sodass die
Rechnungen in etwa so hoch sind, wie in Deutschland.
Es gab
wirklich keine Gelegenheit, bei der wir mit den Menschen vor Ort gesprochen
haben, bei der nicht Menschen zu uns gekommen sind, um davon zu erzählen.
Ungezählte Rentner haben uns unter Tränen erzählt, ihre Rente betrage 2.000
oder 3.000 Griwna (etwa 60 bis 90 Euro), die Nebenkosten betragen aber 3.000
Griwna. Ohne die Hilfe von Freunden und Kindern könnten sie sich nichts zu
essen kaufen, von Medikamenten gar nicht zu reden.
Diese
Beschwerden waren überall beherrschend. Und diese Fehler, die in Kiew unter
Anleitung der USA, des Westens und des IWF gemacht wurden, und die vollkommen
außer Kontrolle geratene Korruption in der Ukraine, sind Russlands größte
Chance, die Herzen der Menschen für sich zu gewinnen. Dazu muss Russland nicht
einmal etwas aufwenden, denn in der Ukraine wird russisches Gas verfeuert,
welches aber aufgrund der vielen Taschen, die daran verdienen wollen, um ein
Vielfaches teurer ist, als sein müsste, Details dazu finden Sie hier.
Russland
müsste als ersten Schritt einfach nur die Wohnnebenkosten auf russisches Niveau
senken, und schon würde die Zustimmung für die russische Militäroperation stark
steigen. Ich vermute, dass genau das demnächst passieren wird, wenn Russland
die Versorgung übernimmt.
Humanitäre
Hilfe und Flüchtlinge
Was im
Westen kaum erwähnt wird, ist, dass Russland massiv humanitäre Hilfe in die
Ukraine liefert. Ich habe in meinem ersten Bericht aus der Ukraine berichtet,
dass sich trotzdem viele Menschen bei uns beschwert haben, dass sie die
Ausgabestellen oft mit leeren Händen verlassen, weil es nicht genug Hilfe gibt.
In Melitopol habe ich allerdings keine derartigen Beschwerden gehört.
Ich habe
die Soldaten danach gefragt, ob sie wissen, warum es anscheinend teilweise zu
wenig Hilfsgüter gibt. Das Problem, so haben sie mir gesagt, sei ein rein
logistisches. Nicht jeder LKW-Fahrer ist bereit, in die Ukraine zu fahren, weil
viele natürlich Angst haben, dorthin zu fahren. Hinzu kommt, dass die LKW von
der Armee eskortiert und geschützt werden müssen, was eine Zeitverzögerung
bedeutet, weil man sich erst an Sammelplätzen sammeln und sortieren muss.
Das
wichtigste Problem sei aber, dass die Eisenbahnverbindung von der Krim in die
Ukraine erst instand gesetzt werden muss. Das solle aber in den nächsten Tagen
geschehen und wenn die Bahn endlich für den Transport eingesetzt werden kann,
dürfte die Lage besser werden.
Anscheinend
wollen immer mehr Menschen aus der Ukraine nach Russland fliehen. Ein Mann
erzählte mir von einer Freundin aus Charkiw, die nach Russland fliehen wollte,
aber Kiew hat fast keine humanitäre Korridore zur Evakuierung von Zivilisten
auf russisch kontrolliertes Gebiet gestattet, sodass sie von Charkiw nach Kiew
gebracht wurde, was aus offensichtlichen Gründen keine gute Lösung ist. Die
ukrainische Regierung benutzt ihre Bürger als menschliche Schutzschilde, wenn sie
sie nicht aus den Städten ausreisen lässt oder sie von einer umkämpften Stadt
in die nächste bringt, anstatt sie aus dem Kampfgebiet zu evakuieren. Solche
Geschichten habe ich von den Menschen immer wieder gehört und sie bestätigen,
was ich bereits im Falle von Mariupol berichtet
habe.
Jedes
Mal, wenn wir die Grenze zur Krim überquert haben, standen dort mehr
ukrainische Autos Schlange, um auf die Krim zu kommen. Das waren auch
überwiegend Flüchtlinge, die nach Russland wollen. Das kann auch nicht
überraschen, denn in Russland spricht man ihre Sprache, erkennt ihre Abschlüsse
an und sie können sich sofort Arbeit suchen. Und außerdem haben sehr viele
Freunde und Verwandte in Russland, bei denen sie zu Anfang unterkommen können.
Der
Abschied von unseren Beschützern ist durchaus schwer gefallen, ich möchte hier
Ivan nochmal grüßen, der um einen Link zu meiner Seite gebeten hat. Vielleicht
liest er diesen Artikel ja mit einem Übersetzungsprogram. Ivan, die Einladung
auf ein Bier nach Petersburg, wenn das Ganze vorbei ist, steht.
Euer ERFRIBENDER