Samstag, 19. März 2022

Ukraine-Konflikt

 Ukraine-Konflikt


https://www.anti-spiegel.ru/2022/meine-erste-reise-in-das-konfliktgebiet-in-der-ost-ukraine/

 

Meine erste Reise in das Konfliktgebiet in der Ost-Ukraine



Ich wurde eingeladen, als einer der ersten ausländischen Journalisten das Konfliktgebiet in der Ost-Ukraine zu besuchen. Hier mein erster Bericht.

 

von

17. März 2022 17:58 Uhr

Ich habe schon angekündigt, dass ich diese Woche eine Dienstreise machen und die Ost-Ukraine besuchen werde. Hier werde ich erzählen, wie es dazu gekommen ist und was ich am ersten Tag erlebt habe.

Wie es dazu kam

Ich habe schon öfter gesagt, dass ich den Donbass besuchen und mir ein eigenes Bild von der Lage machen möchte. Das wurde nach dem Beginn der russischen Militäroperation jedoch fast unmöglich, denn wer dort nicht schon vor Beginn der Operation vernetzt gewesen ist, kommt derzeit kaum hinein. Ich habe es über viele Wege versucht, aber eine Akkreditierung zu bekommen, wenn man noch nie dort war, ist momentan fast unmöglich.

Ich habe jedoch immer wieder Anrufe bekommen, dass es Chancen gebe und dass es bald losginge, aber danach kam dann nichts mehr. Daher habe ich das auch letzte Woche, als ich wieder so einen Anruf bekommen habe, ob ich bereit wäre, spontan mitzufahren, erst einmal nicht ernst genommen. Dann jedoch kam am Samstag der Anruf, es gehe am Montag um 7.00 Uhr in Moskau los.

Die lange Reise

Ich habe daraufhin alle Pläne über den Haufen geworfen und bin nach Moskau geflogen, wo ich im Hotel die Nacht durchgearbeitet habe, um noch einige Artikel zu schreiben. Da der Luftraum über Süd-Russland gesperrt ist, mussten wir mit dem Auto fahren und so trafen wir uns um 7.00 Uhr. Die Gruppe bestand aus sechs Journalisten, zwei Begleitpersonen und zwei Fahrern und wir fuhren in zwei Minibussen los. Ich habe die Fahrt fast vollständig verschlafen, was aber geplant war, da ich während der Reise lieber nachts schreiben und tagsüber schlafen wollte, damit der Anti-Spiegel keine ganze Woche Sendepause hat.

Wie wir erst im Auto erfuhren, sollte es nicht in den Donbass gehen. Vielmehr sollten wir die ersten ausländischen Journalisten sein, die über die Krim in die Süd-Ukraine fahren dürfen, um uns dort ein Bild von der Lage zu machen. Daher übernachteten wir in Rostov am Don und fuhren am nächsten Tag über die neue Krim-Brücke nach Simferopol, was eine Tour von insgesamt 1.900 Kilometern war. In Simferopol trafen wir am 15. März ein und dort stießen noch andere Journalisten zu der Gruppe hinzu.

Es wird ernst

Am 16. März saßen wir um fünf Uhr morgens in den Bussen und fuhren zu einem Treffpunkt, wo wir aus unseren zwei Bussen in einen einzigen Bus umsteigen sollten. Wir bekamen Schutzausrüstung mit „Presse“-Aufschrift und wurden von hier an von zwei gepanzerten Fahrzeugen der russischen Nationalgarde (Rosgvardia) eskortiert, in denen etwa 20 bewaffnete Soldaten zu unserem Schutz saßen.

Die Rosgvardia ist eine Mischung aus Polizei und Militär, sie bewacht normalerweise kritische Infrastruktur, kann aber auch bei Aufständen oder im Krieg eingesetzt werden. In der Ukraine ist eine ihrer Aufgaben, in den Städten, die unter russische Kontrolle gekommen sind, die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten, mit der Stadtverwaltung die organisatorischen Dinge zu koordinieren, die für das normale Weiterleben nötig sind, und so weiter. Die Jungs waren freundlich zu uns und bei den vielen Pausen kamen auch nette Kontakte und Gespräche zu Stande.

Die Journalisten, die sich mit mir auf den Weg gemacht haben, kommen aus den USA, den Niederlanden, der Mongolei, Serbien und Italien.

Der erste Eindruck

Als wir die Grenze überquerten, war der ukrainische Grenzposten ziemlich zerstört, aber das war auch alles. Es lagen dann noch einige Autos am Straßenrand, die – wie uns unser Begleiter erzählte – in aller Eile von der ukrainischen Armee quer auf der Straße aufgestellt worden waren, um die Straße zu blockieren. Aber Panzer kann man mit ein paar PKW nicht aufhalten.

Ansonsten haben wir – von an einigen Stellen beschädigten Leitplanken – keine Schäden gesehen. Die russische Armee ist dort, ohne auf Widerstand zu stoßen durchmarschiert, und in allen Orten, an denen wir vorbeikamen, war alles heil, nicht ein Fenster war kaputt. Auch das Leben ging seinen normalen Gang, Geschäfte und Tankstellen waren geöffnet, Autos fuhren, Menschen waren auf der Straße und so weiter. Wenn man es nicht gewusst hätte, hätte nichts darauf hingedeutet, dass hier gerade eine Armee durchmarschiert ist.

Erfahrene Journalistenkollegen, zum Beispiel eine holländische Journalistin mit Syrien-Erfahrung, fand das sehr beeindruckend. Sie erzählte, dass sie das aus Syrien anders kennt, denn wenn die US-Armee vorrückt, dann fliegen Hubschrauber vorweg, die auf alles schießen, was sich bewegt, um Hinterhalte zu verhindern. Selbst wenn dabei keine Zivilisten zu Schaden kommen, ist die Zerstörung dort, wo die US-Armee vorgerückt ist, beträchtlich, hat sie erzählt.

Das hat auch der Amerikaner unter den Journalisten bestätigt, der ein ehemaliger US-Marine ist. Der hat übrigens eine interessante Geschichte, denn er lebt seit sechs Jahren in Russland und hat politisches Asyl bekommen, weil er in den USA bei einem heiklen Thema zu viele kritische Fragen gestellt hat. In den USA wird die Geschichte natürlich anders erzählt, aber das ist ein anderes Thema.

Was außerdem aufgefallen ist, ist die Armut in der Ukraine. Wer – wie ich – Russland noch aus den 1990er Jahren kennt, der hatte das Gefühl, eine Zeitreise zurück in die 90er gemacht zu haben. Russland ist heute ein sauberes Land mit modernen Städten, in denen ganze Stadtteile neu entstanden sind. Ich habe dazu mal ein Video verlinkt, dass das deutlich macht.

Die Ukraine sieht noch genauso aus, wie Russland damals. Kaputte Straßen, verfallene Bushaltestellen, schlecht gepflegte, halbverfallene Häuser, viele alte sowjetische Autos und so weiter. Sogar die freudlose Kleidung der Menschen erinnert an die 90er Jahre in Russland. Das hat mich sehr berührt, weil es einige Erinnerungen an damals und an die Probleme meiner Freunde in der Zeit wachgerufen hat. Aber das kann nur verstehen, wer es erlebt hat.

Genitschesk

Unsere Fahrt ging in die kleine Stadt Genitschesk, die direkt vor Krim auf dem ukrainischen Festland liegt und im Sommer ein Touristenziel für Badeurlauber ist. Wir haben dort den Markt besucht, sind durch die Stadt spaziert, haben eine Ausgabestelle für humanitäre Hilfe besucht und den einzigen Kriegsschaden gezeigt bekommen, den es dort gegeben hat.

Dass die Lage nicht vollkommen normal ist, zeigte sich an der Schlange vor einer Bank, denn anscheinend funktioniert das bargeldlose Zahlen dort derzeit nicht und die Leute stehen für Bargeld an, was aber Mangelware ist. Ansonsten machte die Stadt einen ziemlich normalen Eindruck.

Auf dem Markt durften wir uns frei bewegen, mussten aber zusammenbleiben, damit unsere Beschützer alles im Blick hatten. Es war für die Einheimischen sicher ein etwas ungewohnter Anblick, als etwa 12 Leute in Schutzkleidung und mit der Aufschrift „Press“ in Begleitung von etwa 20 Schwerbewaffneten auf das Gelände kamen.

Die Angst der Menschen

Ich hatte erwartet, dass die Gegner der russischen Militäroperation nicht mit uns reden würden, weil sie Angst vor den russischen Soldaten haben müssten. Es war aber genau umgekehrt. Die Gegner haben den russischen Soldaten ins Gesicht gesagt, dass sie nicht willkommen sind und nach Hause gehen sollten. Sie haben ganz offensichtlich rein gar keine Angst vor den russischen Soldaten und beschimpfen sie teilweise heftig, was die russischen Soldaten stoisch und reaktionslos geschehen ließen.

Wer Angst hat – das haben wir alle schnell bemerkt -, sind die Unterstützer der russischen Operation. Die gingen an den Soldaten vorbei und flüsterten ihnen unauffällig Dankesworte und Dinge wie „endlich!“ oder „geht nicht wieder!“ zu.

Die Unzufriedenen haben sich auch um jedes Mikrofon gerissen und vor jede Kamera gestellt und ihrem Unmut Luft gemacht, während es schwer war, die Befürworter der Operation vor die Kamera zu bekommen und zu interviewen. Eine der wenigen Ausnahmen war eine alte Dame, die sagte, sie sei 72 und habe keine Angst. Sie hat vor der Kamera fast vor Freude geweint und sich bei Russland bedankt.

Angst so, habe ich dann in geflüsterten Gesprächen mit einigen Betroffenen erfahren, haben die Leute davor, dass Russland wieder abziehen könnte und sie dann für ihre Befürwortung des russischen Eingreifens mit Repressionen und Schlimmerem rechnen müssten, so wie es seit nach dem Maidan war. Der bekannteste, aber bei weitem nicht einzige, Fall war die Tragödie von Odessa im Mai 2014 mit über 40 Toten, die von Maidan-Anhängern bei lebendigem Leib in Odessa verbrannt worden sind. Diesen Massenmord nennen die Nationalisten in der Ukraine zynisch „Odessa-Barbecue“ und er wurde bis heute nicht aufgeklärt.

Generell war das Leben für Regierungsgegner in der Ukraine nach dem Maidan nicht ungefährlichpolitische Morde waren keine Seltenheit und auch das UNHCR hat das in seinen Menschenrechtsberichten zur Ukraine immer wieder erwähnt. Aber es ist das Eine, das zu wissen und darüber zu lesen, aber es ist etwas völlig anderes, wenn man diese Angst so greifbar erlebt. Die Angst war auch daran zu sehen, dass viele nicht einmal im Bildhintergrund zu sehen sein wollten. Die meisten haben die Kameras gemieden und sind immer hinter den Kameraleuten vorbeigelaufen, um nicht ins Bild zu kommen.

Und noch etwas an der Reaktion der Leute war vielsagend. Aufgrund der Tatsache, dass wir unter dem Schutz russischer Soldaten waren, hätten die Leute der Meinung sein können, wir seien pro-russisch. Aber als sie hörten, dass wir aus dem Westen kommen, haben es viele abgelehnt, überhaupt mit uns zu sprechen. Mit russischen Medien hätten viele wohl gesprochen, aber vor eine holländische, italienische oder gar amerikanische Kamera wollte fast niemand.

Einer, der sich dazu bereit erklärt hat, hat darauf bestanden, das Interview auf Englisch und nicht auf Russisch zu führen, weil er Angst hatte, westliche Medien könnten ihm das Wort im Mund verdrehen. Das war eine Erfahrung, die ich in der Ukraine nicht erwartet hätte. Er hat sich dann positiv über die russische Militäroperation geäußert.

Die Sorgen der Menschen

Auf dem Markt waren auch viele Menschen, die sich bitterlich über die Armut beschwert haben. Rentner müssten ihr ganzes Geld für Strom und Heizung ausgeben, und hätten kein Geld für Lebensmittel übrig. Wann endlich die Kosten für Wohnnebenkosten gesenkt und die Renten erhöht würden, haben sie uns angeschrien, dabei können weder wir Journalisten, noch die russischen Soldaten etwas für die Höhe der Renten in der Ukraine.

Der Unmut der Leute darüber ist verständlich und ich habe oft berichtet, dass das ein großes Problem in der Ukraine ist. Die Russen können dafür jedoch wahrlich nichts, aber für die Kollegen, die kein Russisch konnten, sah das nach Protest gegen die russischen Soldaten aus, dabei hatte das (sehr berechtigte) Geschimpfe dieser Menschen nichts mit den Russen zu tun. Viele Rentner beklagten sich, dass ihre gesamte Rente für die Wohnnebenkosten drauf geht und sie nur überleben können, weil ihre Kinder oder Freunde ihnen Essen geben.

Anders waren die Eindrücke, als wir dann vom Markt mit den vielen Menschen weggegangen und durch die Stadt spaziert sind. Wenn die Menschen alleine mit uns sprechen konnten, ohne sich von einer Menschenmasse beobachtet zu fühlen, waren sie gleich viel offener. Besonders eindrücklich war eine alte Dame, eine Babuschka wie aus dem Bilderbuch, die in einem von einem Zaun aus Metallplatten umzäunten Haus wohnt. Als unsere Gruppe vorging, bellten alle ihre Hunde und sie kam zum Tor und murmelte, was denn das los sei, dass die Hunde so verrückt spielen.

Als sie das Tor öffnete stand sie vor fünf Journalisten in Schutzwesten und Helmen und drei schwerbewaffneten Soldaten, die da gerade an ihrem Haus vorbeigingen und sie machte ein sehr verdutztes Gesicht. Aber sie war unglaublich freundlich, fragte, wer wir seien und so weiter. Als ich ihr sagte, wir seien ausländische Journalisten und ob sie den Kollegen etwas ins Mikrofon sagen wollen, fragte sie: „Für welche Seite?“

Da mussten wir alle (auch die Soldaten) lachen, und als sie verstanden hatte, dass sie sagen kann, was sie will, machte sie bereitwillig mit. Sie hat dabei einfach nur um Frieden gebeten und beklagt, dass immer „die Jungs“ darunter leiden müssen, wenn „die da oben“ sich mal wieder streiten. Jetzt würden auf beiden Seiten Jungs sterben, die doch alle eigentlich zusammengehören und slawische Brüder seinen, wobei sie die russischen Soldaten direkt angesprochen hat, die dazu nickten. Sie hielt eine Rede für den Frieden, wie ich sie selten so überzeugend gehört habe. Sie war eine wirklich liebenswerte Frau und ich sehe ihr offenes Lächeln immer noch vor mir.

Humanitäre Hilfe

Im Westen wird nicht über die humanitäre Hilfe berichtet, die Russland leistet. In Russland wird hingegen gescherzt, dass es bald keinen Zucker und kein Mehl mehr gibt, weil das als humanitäre Hilfe in die Ukraine geht. Und in der Tat haben wir auf unserer langen Fahrt von Moskau auf die Krim viele lange LKW-Konvois mit humanitärer Hilfe gesehen.

Wir haben auch eine Ausgabestelle für humanitäre Hilfe besucht, bei der sich jedoch viele beschwert haben, dass es nicht genug Hilfe gebe und dass sie schon einige Male mit leeren Händen gehen mussten. Woran das liegt, kann ich nicht beurteilen, denn aus den Flüchtlingslagern weiß ich, dass es da genug für den nötigen Bedarf gibt. Vielleicht hat Russland das Problem der Flüchtlinge unterschätzt, ich weiß es nicht. Aber die schiere Menge an LKW auf Russlands Autobahnen hat gezeigt, dass wirklich viel geliefert wird, wir waren auf der Fahrt sehr überrascht über die große Zahl an Hilfskonvois.

Bei der Ausgabestelle war es wieder ähnlich, wie auf dem Markt: Einige wollten nicht vor die Kamera und wollten nicht reden. Aber hier war die Angst nicht so deutlich zu spüren, wie auf dem Markt. Eine Frau hatte gar keine Angst. Sie stand in der Schlange und beschwerte sich auch, dass sie schon einige Male umsonst hier gewesen sei, aber sie sagte deutlich, wie sehr sie sich über die Russen freue.

Sie hat geschwärmt, wie viel besser es vor dem Maidan („unter Janukowitsch“ wie sie immer wieder sagte) gewesen sei. Nach dem Maidan seien alle größeren Arbeitgeber der Region pleite gegangen, die Arbeitslosigkeit sei hoch, die Armut schlimm. Und natürlich kam wieder die Beschwerde über die Wohnnebenkosten, die man nicht bezahlen könne. Sie käme aus dem Nachbardorf, habe einige Kühe und wolle nur, dass sie ihre Milch wieder zu einem vernünftigen Preis verkaufen und ihren Kindern eine Zukunft bieten kann.

Die Spaltung

Der Maidan hat die Menschen in der Ukraine gespalten, das merkt man deutlich. Mein Eindruck ist, dass in dem Ort, wo wir waren, die Zustimmung zur russischen Militäroperation überwiegt. Die Gegner davon sind lauter, aber in meinen Augen eine Minderheit, denn sobald es keine Menschenmenge gab, hörte man zwar Beschwerden über diese oder jene Schwierigkeit, aber keine explizit anti-russischen Aussagen, wie auf dem Markt. Die Stimmen auf dem Markt waren zwar lauter, aber wohl keine Mehrheit, wie die vielen geflüsterten „Danke schön“ gezeigt haben. Aber das ist mein subjektiver Eindruck.

Die Gegner der russischen Operation sagten, dass hundert Prozent der Menschen dagegen seien, was die vielen anderen Stimmen widerlegen. Die Unterstützer der Russen sagten, dass 90 Prozent so denken, wie sie. Ob das stimmt, weiß ich natürlich auch nicht. Aber das zeigt, wie tief das Land nach dem Maidan gespalten wurde.

Interessant waren zwei alte Herren, die unbedingt von dem mongolischen Kamerateam interviewt werden wollten. Sie führten dann in dem Interview ein regelrechtes Streitgespräch, bei dem der eine eher für die russische Operation war, der andere hingegen absolut dagegen. Es war interessant, die beiden argumentieren zu hören.

Es wird ein langer Weg, diese Spaltung wieder zu kitten.

Sonstige Eindrücke

Übrigens ist es für Ukrainer möglich, auf die Krim zu kommen. Ich hätte gedacht, diese Grenze sei geschlossen. Aber es standen viele zivile Fahrzeuge vor der Grenze, die zwar sehr streng kontrolliert werden, aber am Ende passieren dürfen. Dabei handelt es sich um Flüchtlinge, die in Russland Schutz suchen, zum Beispiel bei Verwandten.

Und ich habe den Krim-Kanal gesehen, den die Ukraine nach dem Maidan blockiert hat, weil sie die Insel von der Wasserversorgung abschneiden wollte. Die Krim war auf das Wasser angewiesen und für Russland war es ein echter Kraftakt, die Wasserversorgung in den letzte acht Jahren aufrecht zu erhalten. Seit russische Truppen den Kanal unter Kontrolle haben, fließt das Wasser wieder.

Wir haben, wie gesagt, praktisch keine Kriegsschäden gesehen, wenn man von den Grenzbaracken, ein paar umgekippten Autos und kaputten Leitplanken absieht. Der einzige Kriegsschaden, den wir gesehen haben, betraf eine Brücke vom Festland auf die Krim. Ukrainische Soldaten hatten in aller Eile versucht, sie zu sprengen, um die russische Armee aufzuhalten, aber es brach nur eine Seite der Fahrbahn ein, die andere Hälfte der Brücke ist normal befahrbar.

Was uns verboten war

Es hat mich überrascht, als uns der leitende Offizier unserer Beschützer die Liste der Verbote eröffnete, denn sie bestand aus nur einem Punkt: Das Filmen und Fotografieren von Soldaten ohne Gesichtsmaske ist nicht erlaubt. Kontrolliert hat das allerdings niemand, die Anweisung wurde gegeben und das war alles.

Ansonsten sollten wir einigermaßen zusammenbleiben, aber da taten mir unsere Beschützer leid, denn daran haben sich die neugierigen Journalisten kaum gehalten, als sie zum Beispiel sofort über das Gelände des Marktes ausgeströmt sind und sich auf der Suche nach Interview-Partnern in den Gassen zwischen den Marktständen verteilt haben.

Fazit

Dort, wo wir waren, geht das Leben weitgehend seinen normalen Gang. Schockiert hat mich die Angst der Menschen, die die russische Seite unterstützen. Das zu sehen, dieses Unbehagen der Menschen, das war bedrückend. Auch die sichtbare Armut der Ukraine hat mich überrascht. Ich hätte nicht erwartet, dass man das so deutlich sehen kann. Die Infrastruktur ist noch aus der Sowjetunion und seitdem wurde nicht viel getan, vieles ist verfallen, vor allem die leer stehenden Fabriken und die wirklich schlechten Straßen fallen auf.

Gefreut hat mich die Antwort eines Mannes auf die Frage, ob in der Stadt mehr Russen oder Ukrainer leben. Seine Antwort war:

„Da machen wir keinen Unterschied! Außerdem leben hier so viele Völker; Armenier, Georgier, Griechen, wir sind alle eine Familie!“

Das wünsche ich mir für die Ukraine, dass sie wieder dahin zurückfindet: Eine große Familie zu sein, denn das wollten die Maidan-Regierungen der Ukraine austreiben, indem sie auf radikalen Nationalismus gesetzt haben.

Ich werde diesen Artikel veröffentlichen, wenn wir die zweite Reise hinter uns haben, denn die soll nach Melitopol gehen, das ja einige Schlagzeilen gemacht hat und wesentlich tiefer im Hinterland liegt. Diese Information möchte ich aber vor Ende der Fahrt nicht veröffentlichen.

 Melitopol: Meine zweite Reise in das Konfliktgebiet in der Ost-Ukraine



Die zweite Fahrt in das Konfliktgebiet hat uns fast 200 Kilometer tief in das Hinterland geführt. Wir waren in Melitopol, einer Stadt, die in den letzten Tagen einige Schlagzeilen gemacht hat.

vom

18. März 2022 17:49 Uhr

Nachdem unsere erste Fahrt ins nur wenige Kilometer hinter die Grenze geführt hat, sollte es am zweiten Tag nach Melitopol gehen. Die Stadt liegt etwa 180 Kilometer hinter der Grenze und sie hat in den letzten Tagen einige Schlagzeilen gemacht, weil der dortige Bürgermeister angeblich von der russischen Armee entführt und dann gegen russische Kriegsgefangene ausgetauscht worden ist. Wir waren alle sehr neugierig auf die Menschen dort, nachdem wir bei der ersten Reise schon die Angst der Menschen vor Ort gespürt haben.

Die Abfahrt

Es ging wieder um fünf Uhr morgens los und wir fuhren wieder zu dem gleiche Treffpunkt wie am Vortag, wo wir wieder in einen 16-Personen-Bus umgestiegen sind. Zu unserer Freude waren unsere Beschützer wieder die gleichen, wie am Vortag. Vor allem mit dem Kommandeur – nennen wir ihn Ivan -, der bei uns im Bus mitgefahren ist, hatte ich mich gut und interessant unterhalten. Da der amerikanische Journalist John, ein ehemaliger US-Marine, wegen Fieber nicht mitfahren konnte, gab es einige Scherze. Ivan meinte, so sei das mit amerikanischen Soldaten: Ein Tag in Kontakt mit der russischen Armee und schon liegen sie flach.

Darüber mussten wir alle lachen, aber Ivan entschuldigte sich sofort, und bat uns, John Genesungswünsche auszurichten, denn die beiden hatten sich gut verstanden und immer wieder über die russische Militärtechnik gefachsimpelt. John hat abends, als wir ihm das erzählt haben, auch sehr darüber gelacht.

Wir fuhren dann zu einem Treffpunkt, wo wir uns einer großen Militärkolonne aus gepanzerten Fahrzeugen und LKW anschlossen, mit der wir in Richtung Melitopol aufbrachen. Die Fahrt dauerte fast vier Stunden, weil so eine Kolonne nun einmal recht langsam unterwegs ist. Am Stadtrand von Melitopol übernahmen dann wieder zwei gepanzerte Fahrzeuge unseren Schutz.

Melitopol

Auf der ganzen Fahrt haben wir wieder keine Kriegsschäden gesehen. Erst am Stadtrand von Melitopol waren zwei halb zerstörte Tankstellen zu sehen. Die Stadt selbst war vollkommen unbeschädigt, auch hier war nicht eine Scheibe kaputt gegangen. Das hat uns sehr überrascht. Aber in der Stadt wurde uns dann von den Menschen und den Vertretern der Behörden übereinstimmend erzählt, wie die Übernahme von Melitopol abgelaufen ist.

Der Bürgermeister der Stadt hatte der russischen Armee mitgeteilt, Melitopol sei eine russische Stadt und sie werde keinen Widerstand leisten. Die russische Armee ist kampflos in die Stadt eingerückt, hat nur etwa 50 Soldaten zurückgelassen, die mit der Stadtregierung zusammenarbeiten sollten, und dann ist die Armee weitergezogen.

In der Nacht sind dann Nazi-Einheiten in die Stadt eingedrungen und haben die russischen Soldaten angegriffen und regelrecht abgeschlachtet. Eine Anwohnerin hat uns berichtet, dass all das vor ihren Augen abgelaufen sei, die toten Soldaten seien geplündert und ihre Leichen geschändet worden. Daraufhin kehrten Einheiten der russischen Armee zurück und vertrieben die Nazis aus der Stadt, wobei es Schießereien gegeben habe, aber „nur“ mit Handfeuerwaffen, schwere Waffen sind dabei nicht zum Einsatz gekommen. Danach wurde eine größere russische Einheit in der Stadt belassen und seitdem ist es in der Stadt ruhig.

In Melitopol ist die Lage ungefähr so, wie in Genitschesk, wo wir am Tag zuvor gewesen sind. Die Menschen sind unterwegs, die meisten Geschäfte sind geöffnet, allerdings gab es auch hier lange Schlangen vor den Banken, weil der elektronische Zahlungsverkehr nicht funktioniert und die Leute Bargeld abheben wollen, wovon es aber zu wenig gibt.

Die Korruption

Unsere erste Station in Melitopol war die Stadtverwaltung. Auf dem Platz davor gab es eine große Menschenmenge, die sich aber nicht als Kundgebung oder Demonstration entpuppte, sondern als Ausgabestelle für humanitäre Hilfe. Russische Soldaten gaben dort Lebensmittel und andere lebensnotwendige Dinge an die Bevölkerung aus.

Wie uns Passanten erzählten, war nach der Übernahme der Stadt die Stadtverwaltung für die Ausgabe der humanitären Hilfe zuständig, die aus Russland geliefert wird. Ein Mann sagte mir mit bitterem Humor, dass das Wort „Ukraine“ nicht das Land bezeichne, sondern von dem Wort „ukrast“ (auf Russisch „klauen“ oder „stehlen) komme, denn in den ersten Tagen wurden kaum Hilfsgüter verteilt, stattdessen landeten die in Geschäften und wurden verkauft. Um dem ein Ende zu setzen, hat die russische Armee die Verteilung der Hilfsgüter in Melitopol selbst übernommen.

Die Korruption in Melitopol scheint haarsträubend zu sein, denn über die entsetzten Gesichter ausländischen Journalisten konnten die Menschen nur lachen, für sie war dieses korrupte Vorgehen der Stadtregierung vollkommen normal. Ein weiteres Beispiel hat uns ein anderer Mann erzählt, aber dazu kommen wir, wenn ich von der Rückfahrt berichte.

Die Bürgermeisterin

Die neue Bürgermeisterin der Stadt hat uns eine Pressekonferenz gegeben, die mit einer Erklärung von ihr begann und danach konnten wir Fragen stellen, wobei mir notgedrungen die Rolle des Dolmetschers zufiel, weil die Stadtverwaltung nicht daran gedacht hatte, einen Dolmetscher zu organisieren, damit die ausländischen Journalisten auch verstehen, was da gesagt wurde. Ich war der einzige weit und breit, der sowohl Russisch als auch Englisch gut beherrscht.

Ihr Vorgänger als Bürgermeister der Stadt hat einige Schlagzeilen gemacht, weil er angeblich von der russischen Armee entführt und dann gegen einige russische Soldaten ausgetauscht worden ist. Die neue Bürgermeisterin erklärte, dass ihr Vorgänger seine Aufgaben nach der Ankunft der russischen Armee nur sehr unwillig ausgeführt, dann schriftlich seinen Rücktritt erklärt und sie zu seiner Nachfolgerin ernannt hat, bis es zu Neuwahlen kommt. Die entsprechende, von dem Bürgermeister unterschriebene, Erklärung hatte sie dabei und sie hat sie uns gezeigt.

Ansonsten erklärte sie, dass die Stadtverwaltung alles in ihrer Macht stehende tue, um das normale Leben weiterlaufen zu lassen. Strom, Wasser und Heizung funktionieren, die städtische Infrastruktur auch. Das wichtigste sei, dass es zu keiner humanitären Katastrophe komme, aber die Lage sei insgesamt nicht schlecht und unter Kontrolle.

Natürlich fragten die Kollegen sie dann zu der Geschichte mit ihrem Vorgänger. Sie erzählte, dass der Bürgermeister keineswegs entführt worden sei, sondern dass er ein Unterstützer des Rechten Sektors, einer neonazistischen Organisation in der Ukraine, sei. Die Staatsanwaltschaft von Lugansk habe gegen ihn ermittelt, weil er an der Finanzierung von Sabotageakten des Rechten Sektors in Lugansk beteiligt sein soll, was dort als Terroranschläge eingestuft wird. Er sei dann auf Betreiben der Staatsanwaltschaft festgenommen worden. Was danach passiert ist, ob er ausgetauscht worden ist, wie die Medien gemeldet haben, oder nicht, das entziehe sich ihrer Kenntnis.

Auf weitere Fragen hin erzählte sie, dass etwa 20 Prozent der Bevölkerung bei Beginn der russischen Militäroperation geflohen sei, dass aber inzwischen viele Menschen zurückkehren, weil die Lage in Melitopol ruhig ist. Außerdem nehme die Stadt gerade viele Flüchtlinge aus Mariupol auf. Auf die Frage nach der Zukunft, ob diese Teile des Landes Teil der Ukraine bleiben, oder sich nach dem Beispiel von Donezk und Lugansk von der Ukraine lossagen, wollte sie nichts offizielles antworten. Sie unterstrich daher mehrmals, dass sie nur ihre private Meinung wiedergibt, wenn sie sagt, sie wünsche sich, dass Melitopol ein Teil Russlands wird. Aber das sei – das war ihr wichtig – nur ihre eigene, ganz persönliche Meinung.

Die Ängste der Menschen

Schon am Vortag haben wir erlebt, dass die Menschen große Angst haben. Das wurde in Melitopol noch deutlicher als in Genitschesk. Und wieder sind es nicht die Gegner der russischen Operation, die Angst haben, sondern die Befürworter. Die Gegner schreien russische Soldaten an, sie sollten verschwinden, während die Gegner ihnen unauffällig Dankesworte und Dinge wie „endlich!“ oder „geht nicht wieder!“ zuflüstern.

Angst so, habe ich auch hier wieder in geflüsterten Gesprächen mit Betroffenen erfahren, haben die Leute davor, dass Russland wieder abziehen könnte und sie dann für ihre Befürwortung des russischen Eingreifens mit Repressionen und Schlimmerem rechnen müssten, so wie es seit nach dem Maidan in der Ukraine üblich war. Der bekannteste, aber bei weitem nicht einzige, Fall war die Tragödie von Odessa im Mai 2014 mit über 40 Toten, die von Maidan-Anhängern bei lebendigem Leib in Odessa verbrannt worden sind. Diesen Massenmord nennen die Nationalisten in der Ukraine zynisch „Odessa-Barbecue“ und er wurde bis heute nicht aufgeklärt.

Generell war das Leben für Regierungsgegner in der Ukraine nach dem Maidan nicht ungefährlichpolitische Morde waren keine Seltenheit und auch das UNHCR hat das in seinen Menschenrechtsberichten zur Ukraine immer wieder erwähnt. Aber es ist das Eine, das zu wissen und darüber zu lesen, aber es ist etwas völlig anderes, wenn man diese Angst so greifbar erlebt. Die Angst war auch daran zu sehen, dass viele nicht einmal im Bildhintergrund zu sehen sein wollten. So, wie auch in Gelintschesk, haben die meisten Menschen haben die Kameras gemieden und sind immer hinter den Kameraleuten vorbeigelaufen, um nicht ins Bild zu kommen.

Nach der Pressekonferenz haben wir mit Menschen auf dem Platz vor der Stadtverwaltung gesprochen und es war das gleiche Bild, wie in Genitschesk. Die Gegner der russischen Operation waren laut und drängten sich vor jedes Mikrofon, während die Befürworter eher abseits standen und leise mit anderen Journalisten gesprochen haben. Allerdings entwickelte sich bei einem Interview, das die mongolischen Kollegen machten, ein so heftiges Streitgespräch zwischen einer Gegnerin der russischen Operation und einem Befürworter, dass wir schon befürchteten, das könnte zu einer größeren Schlägerei eskalieren, weil sich die Emotionen so sehr hochgeschaukelt haben. Die Gegnerin der russischen Militäroperation schrie, dass Russland am 24. Februar alle Sympathien verspielt hätte, der Befürworter forderte lautstark ein Referendum über die Zukunft der Region. Er war einer der wenigen, die offensichtlich keine Angst haben.

Da die Lage zu eskalieren drohte, beschlossen wir, diesen Platz zu verlassen und wurden in den Stadtpark gefahren. Dort waren weniger Leute und man konnte in Ruhe mit ihnen sprechen. Und wieder zeigte sich, was wir schon in Genitschesk erlebt haben: Sobald es ruhig ist und kein Massenandrang da ist, werden sie Leute offener. Im Park haben uns sehr viele von Repression und Unterdrückung nach 2014 erzählt, es waren so viele Beispiele, dass ich sie nicht aufzählen kann.

Eines will ich aber erzählen. Ein alter Herr hat uns erzählt, er sei Mitglied einer Oppositionspartei und eines Tages sei deren Parteibüro angezündet worden. Obwohl die Täter bekannt waren, wollten Polizei und Staatsanwaltschaft lange Zeit nicht ermitteln. Es kostete ihn viel Mühe, die Täter schließlich doch vor Gericht zu bringen. Sie wurden dann „im Januar“ – wie er sagte – verurteilt; einer zu viereinhalb Jahren, zwei zu je drei Jahren Gefängnis. Aber schon im Februar wurde eine Amnestie ausgesprochen und die Täter waren wieder frei und auch den Schadenersatz für den entstandenen Sachschaden haben sie trotz Gerichtsurteil nie bezahlt.

Ein Mann hat darauf bestanden, mir und den holländischen Kolleginnen einen Kaffee auszugeben. Es war uns zwar unangenehmen, das anzunehmen, aber er ließ sich nicht davon abbringen und da wir seit 5 Uhr morgens unterwegs waren, tat der Kaffee sehr gut. Selbst kaufen konnten wir nirgends etwas, weil wir kein ukrainisches Geld hatten und russische Rubel (noch?) nicht akzeptiert werden.

Die Wirtschaft

Danach fuhren wir in eine Fabrik, die Teile für den Maschinen- und Fahrzeugbau herstellt. Der Direktor der Fabrik erzählte uns, dass in der Fabrik früher mal über tausend Menschen gearbeitet hätten, inzwischen seien es nur noch hundert. Nach dem Maidan hat die ukrainische Regierung die Wirtschaftsverbindungen zu Russland fast vollständig gekappt, weshalb fast alle Industriebetriebe der Ukraine pleite gegangen sind. Diese Fabrik ist eine der wenigen, die noch arbeiten. Der Direktor sprach daher auch von der Hoffnung, dass sich der russische Markt für sein Unternehmen nun wieder öffnen werde.

Ein weiteres Problem ist die Landwirtschaft, die in der Ukraine mit ihren fruchtbaren Böden ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist. Demnächst beginnt die Aussaht und im Radio haben wir auf der Fahrt spezielle Erklärungen der „Militärverwaltung der befreiten Territorien“ gehört. Darin wurde den Bauern und landwirtschaftlichen Betrieben mitgeteilt, dass sie alles, was sie brauchen, also Saatgut, Dünger, landwirtschaftliches Gerät, etc., „zu den günstigeren russischen Preisen“ erwerben können und dass die Logistik dafür stehe. Nichts stehe einer normalen Saison im Wege.

Verbotene Streumunition in Melitopol

Wir hatten übrigens durchaus Einfluss auf die Route. Nach dem Besuch der Fabrik drängten unsere Beschützer darauf, wir sollten zurückfahren, denn der Weg sei lang und sie wollten uns vor Einbruch der Dunkelheit zurück auf die Krim bringen. Aber wir hatten von Zivilisten gehört, in einem Wohngebiet sei eine ballistische Rakete von Typ Totschka-U mit verbotener Streumunition runtergegangen. Das wollten wir unbedingt noch sehen und so haben wir die Soldaten überredet, zuerst noch dahin zu fahren, bevor es auf die Rückfahrt geht.

Die russische Luftabwehr hat Anfang März eine ukrainische Rakete vom Typ Totschka-U abgeschossen, die mit verbotener Streumunition (auch „Kassettenmunition“ genannt) bestückt war. Die Rakete fiel auf ein Wohngebiet von Melitopol, wobei sie einige der Kassetten mit Streumunition verloren hat, die in dem Wohngebiet explodiert sind. Die Schäden waren beeindruckend, denn in ihrem Umkreis war alles buchstäblich durchsiebt.

Eine Kassette ist auf ein kleines Grundstück gefallen, das einem Taxiunternehmer gehört. Sie ist direkt auf eines seiner Autos gefallen und explodiert. Dabei sind die Autos nicht nur durchsiebt worden, sondern auch ausgebrannt. Zwei Häuser weiter ist ein 12-jähriger Junge von einem Splitter einer anderen Kassette im Nacken getroffen worden. Er wurde zwar notoperiert, ist dann aber verstorben.

Die Anwohner waren ausgesprochen erpicht darauf, mit uns zu sprechen und uns davon zu erzählen. Auch die Rakete selbst konnten wir uns anschauen, denn sie wurde von der Straße entfernt und liegt im Unterstand auf dem Grundstück einer dort lebenden Familien. Die Menschen haben mit uns geredet, uns auf ihre Grundstücke und in ihre Häuser gelassen, um uns die Schäden zu zeigen.

Der Anhalter

Anschließend ging es auf die Heimfahrt und dabei ist der letzte Stopp immer der Ortseingang, denn – Sie kennen das aus dem Fernsehen – es wird in Reportagen meistens das Ortseingangsschild gezeigt. Daher war das immer der letzte Stopp, damit die Journalisten, die Videoreportagen machen, das Schild filmen können.

Während ich bei den Fahrzeugen gewartet und mich mit den Soldaten unterhalten habe, kam ein Zivilist mit zwei Tüten in der Hand angelaufen. Er fragte die Soldaten, ob sie eines der vorbeifahrenden Autos anhalten könnten. Er würde zehn Kilometer außerhalb der Stadt wohnen und niemand wolle anhalten und ihn mitnehmen, solange die Militärfahrzeuge hier stünden. Während ein Soldat sich aufmachte, um das nächste Auto für ihn zu stoppen, sagte der Kommandant nur: „Lass sein, wir nehmen ihn mit, liegt doch auf dem Weg“

So stieg der Mann in unseren Bus und wir konnten uns einige Zeit mit ihm unterhalten. Ich habe ihm viele Fragen gestellt und er hat bereitwillig erzählt. Er erzählte, dass er von dem Beginn der Militäroperation kaum etwas mitbekommen hat. Er stand eines Morgens auf, hörte in der Ferne ein paar Schüsse und hat gesehen, wie „die ukrainischen Jungs weggelaufen“ sind. Das war alles, was er mitbekommen hat. Dann seien eben die russischen Truppen mit ihren Fahrzeugen durchgerauscht und das war’s, so sagte er.

Er selbst outete sich als klarer Befürworter der russischen Operation. Er sagte, die Soldaten seien immer freundlich und vor allem sei die Korruption in der Ukraine einfach unerträglich geworden. So habe sich der Vor-Vorgänger der jetzigen Bürgermeisterin von Melitopol einfach alle Grundstücke angeeignet, die ihm gefallen hätten.

Melitopol ist bekannt für seine Kirschen und vor 2014 seien viele Touristen aus Russland und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken in Melitopol gewesen und die Kirschen wurden nach Russland exportiert. Nach 2014 habe der Bürgermeister sich einfach das Land vieler Kleinbauern überschrieben, alle Beschwerde seien vom Gericht abgeschmettert worden. Es sei immer unerträglicher geworden und auch dessen Nachfolger (also der, den die russische Armee angeblich entführt hat) sei nicht besser gewesen. Der Anhalter erzählte, er und die meisten seiner Freunde und Bekannten seien daher für die russische Operation, weil sie einfach nur hoffen, dass endlich wieder Recht und Ordnung einkehren.

Die häufigste Beschwerde in der Ukraine

Ich habe oft berichtet, dass das wohl wichtigste Thema in der Ukraine die Höhe der Wohnnebenkosten, also Wasser, Strom und Heizung, ist. Nach dem Maidan wurden die staatlichen Subventionen auf Druck des IWF abgeschafft, sodass die Rechnungen in etwa so hoch sind, wie in Deutschland.

Es gab wirklich keine Gelegenheit, bei der wir mit den Menschen vor Ort gesprochen haben, bei der nicht Menschen zu uns gekommen sind, um davon zu erzählen. Ungezählte Rentner haben uns unter Tränen erzählt, ihre Rente betrage 2.000 oder 3.000 Griwna (etwa 60 bis 90 Euro), die Nebenkosten betragen aber 3.000 Griwna. Ohne die Hilfe von Freunden und Kindern könnten sie sich nichts zu essen kaufen, von Medikamenten gar nicht zu reden.

Diese Beschwerden waren überall beherrschend. Und diese Fehler, die in Kiew unter Anleitung der USA, des Westens und des IWF gemacht wurden, und die vollkommen außer Kontrolle geratene Korruption in der Ukraine, sind Russlands größte Chance, die Herzen der Menschen für sich zu gewinnen. Dazu muss Russland nicht einmal etwas aufwenden, denn in der Ukraine wird russisches Gas verfeuert, welches aber aufgrund der vielen Taschen, die daran verdienen wollen, um ein Vielfaches teurer ist, als sein müsste, Details dazu finden Sie hier.

Russland müsste als ersten Schritt einfach nur die Wohnnebenkosten auf russisches Niveau senken, und schon würde die Zustimmung für die russische Militäroperation stark steigen. Ich vermute, dass genau das demnächst passieren wird, wenn Russland die Versorgung übernimmt.

Humanitäre Hilfe und Flüchtlinge

Was im Westen kaum erwähnt wird, ist, dass Russland massiv humanitäre Hilfe in die Ukraine liefert. Ich habe in meinem ersten Bericht aus der Ukraine berichtet, dass sich trotzdem viele Menschen bei uns beschwert haben, dass sie die Ausgabestellen oft mit leeren Händen verlassen, weil es nicht genug Hilfe gibt. In Melitopol habe ich allerdings keine derartigen Beschwerden gehört.

Ich habe die Soldaten danach gefragt, ob sie wissen, warum es anscheinend teilweise zu wenig Hilfsgüter gibt. Das Problem, so haben sie mir gesagt, sei ein rein logistisches. Nicht jeder LKW-Fahrer ist bereit, in die Ukraine zu fahren, weil viele natürlich Angst haben, dorthin zu fahren. Hinzu kommt, dass die LKW von der Armee eskortiert und geschützt werden müssen, was eine Zeitverzögerung bedeutet, weil man sich erst an Sammelplätzen sammeln und sortieren muss.

Das wichtigste Problem sei aber, dass die Eisenbahnverbindung von der Krim in die Ukraine erst instand gesetzt werden muss. Das solle aber in den nächsten Tagen geschehen und wenn die Bahn endlich für den Transport eingesetzt werden kann, dürfte die Lage besser werden.

Anscheinend wollen immer mehr Menschen aus der Ukraine nach Russland fliehen. Ein Mann erzählte mir von einer Freundin aus Charkiw, die nach Russland fliehen wollte, aber Kiew hat fast keine humanitäre Korridore zur Evakuierung von Zivilisten auf russisch kontrolliertes Gebiet gestattet, sodass sie von Charkiw nach Kiew gebracht wurde, was aus offensichtlichen Gründen keine gute Lösung ist. Die ukrainische Regierung benutzt ihre Bürger als menschliche Schutzschilde, wenn sie sie nicht aus den Städten ausreisen lässt oder sie von einer umkämpften Stadt in die nächste bringt, anstatt sie aus dem Kampfgebiet zu evakuieren. Solche Geschichten habe ich von den Menschen immer wieder gehört und sie bestätigen, was ich bereits im Falle von Mariupol berichtet habe.

Jedes Mal, wenn wir die Grenze zur Krim überquert haben, standen dort mehr ukrainische Autos Schlange, um auf die Krim zu kommen. Das waren auch überwiegend Flüchtlinge, die nach Russland wollen. Das kann auch nicht überraschen, denn in Russland spricht man ihre Sprache, erkennt ihre Abschlüsse an und sie können sich sofort Arbeit suchen. Und außerdem haben sehr viele Freunde und Verwandte in Russland, bei denen sie zu Anfang unterkommen können.

Der Abschied von unseren Beschützern ist durchaus schwer gefallen, ich möchte hier Ivan nochmal grüßen, der um einen Link zu meiner Seite gebeten hat. Vielleicht liest er diesen Artikel ja mit einem Übersetzungsprogram. Ivan, die Einladung auf ein Bier nach Petersburg, wenn das Ganze vorbei ist, steht.

                           Euer ERFRIBENDER

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