Gedanken zur Nacht
Hinz, [30.10.21
12:25]
[Weitergeleitet
aus Gedanken zur Nacht]
Teil 1
„Acht
Jahre“
Im Alter
von acht Jahren fragte mich meine Tochter des Abends, wie sie herausfinden könne,
ob sie es mit einem klugen oder mit einem dummen Menschen zu tun bekommen hat. Was
für eine Frage für ein achtjähriges Mädchen, erwartet man normalerweise eher
etwas in Richtung von etwas Kindlichem, etwas, was von einer gewissen
Einfachheit geprägt sei und nicht eine von Sinn erfüllte Frage, die so manch
Erwachsener nicht einmal zu denken wagt. Eine halbwegs zufriedenstellende
Antwort darauf gegeben, folgte sogleich die Steigerung in Form einer fortführenden
Frage, die noch weniger in das kindliche Schema von acht Jahren Reife zu passen
schien. „Woran erkenne ich, wie klug ein Mensch ist, woran erkenne ich, wie
hoch sein Wissenstand sich entwickelt hat?
Frei
zitiert, verwendete sie einfachere Formulierungen, den Inhalt und dessen
Gewicht, schmälerte ihre Wortwahl der Fragen dennoch nicht.
Meine
Antwort auf ihre erste Frage, woran sie unterscheiden könne, es mit einem
klugen oder dummen Menschen zu tun zu haben, bedurfte noch keiner großen Überlegungen,
ergibt sich aus deren Inhalt, der Sinn von selbst. Im Grunde sehr einfach, so
meine Einleitung – „ Achte darauf, wer viele Fragen stellt und achte auf jene,
die keine Fragen stellen und achte bei letzteren darauf, ob sich diese selbst
gerne reden hören.“ Es war ihr anzusehen, daß sie mit dieser Antwort ins Denken
gekommen war und nach einer kurzen Weile folgte ihre zweite Frage – woran sie
den Grad erkennen könne, wie klug jemand ist? Zugegeben, das hätte ich in der
Form nicht erwartet und schon garnicht spät am Abend, kurz vor dem Einschlafen.
„Sprichst
du mit einem klugen Menschen, hast also bereits erkannt, das viele Fragen
gestellt worden sind, dann achte stets auf eine exakte, wohlüberlegte Wortwahl,
deren präzise Formulierung und dessen deutliche Aussprache. Achte ebenfalls
darauf, ob derjenige auch wirklich eine Antwort auf seine Frage haben möchte,
selbst wenn diese ihm nicht gefallen könnte, oder ob jener nur eine Bestätigung
für seine Annahme, seinen Glauben oder sein zementiertes Weltbild erhalten möchte.“
Und wieder begann es in ihren Kopf zu arbeiten, die Synapsenblitze schlugen von
einer Seite zur anderen, jedoch beließ sie es dann dabei, schien der Denkprozeß,
der soeben in Gang gesetzt worden ist, die Müdigkeit zu potenzieren.
Ohne es
zu bemerken, tat sie genau das, worauf ihre Fragen abzielten und gleichzeitig
gab sie sich somit im Grunde die Antworten auf ihre Fragen selbst. Immer dann,
wenn diese kleine Geschichte erzählt worden ist, war an den Gesichtern der Zuhörer
deutlich, entweder eine Gesichtsentgleisung, oder ein erstauntes Aufhorchen zu
bemerken, das bei letzteren ebenfalls einen Denkprozeß und ebenso eine
Sensibilisierung zu erkennen gab, der schlußendlich auch in ihren Leben mit
einzufließen begann. Mit anderen Worten, diese Menschen begannen noch genauer
darauf zu achten, wie, in welcher Wortwahl und mit wem sie in ein Gespräch sie
einzusteigen gedachten.
Es gibt
eben doch dumme Fragen, gleichwenn ein altes Sprichwort anderes behauptet. Dient
doch dieser simple Spruch doch nur für eines – sich seiner Worte nicht bemühen
zu müssen, weder in der Antwort, noch in einer Frage. Erkennt man somit nicht
nur einen geistigen Bodensegler an seinen Antworten, erkennt man ebenso diesen
auch an seinen Fragen. Das alles hinter sich lassend, ist es von nicht
geringerem Interesse, darauf zu achten – und nebenbei bemerkt, wird dies
zunehmend schlimmer – daß nur noch sehr wenige Menschen wirklich eine echte
Antwort auf ihre Fragen bekommen möchten. Von simplen Fragen nach dem
Wohlergehen abgesehen, worauf auch nicht jeder wirklich eine ehrliche Antwort
haben möchten, wenn sie diese überhaupt abzuwarten willens sind, möchten doch
sehr viele Menschen kaum noch eine ehrlich formulierte Antwort erhalten,
schmerzt doch jener mögliche Wahrheitsgehalt oft mehr, als ein Schweigen es
vermag.
Teil 2
Insbesondere
in diesen Tagen, einer Zeit der Antworten auf
nicht gestellte Fragen, wagen es nur wenige, wenn sie es denn können,
eine ernst gemeinte Frage zu stellen und zugleich eine wahrhaftige Antwort
darauf zu erhalten, zu groß die Angst,
daß eine Aussage erfolgen könnte, die ihr komplettes Weltbild zum einstürzen
wird bringen können. Entweder werden Fragen aus reiner Neugier gestellt oder
ebenso häufig, sich mit einer bestimmten Frage sich der sozialen Anerkennung
des anderen gewahr zu sein. Bist du schon geimpft, geht dein Kind zur Schule, läßt
du dich testen oder hast du schon deinen Urlaub gebucht? – Sind dies jene
Fragen, die weder einer großen Denkleistung folgten, noch von einem echten
Interesse an des anderen Einstellung künden, einzig die Absicht dahinter, womöglich
einen weiteren Mitstreiter auf ihrem Wege finden zu können.
Ein
Spaziergang in einem Minenfeld gleich, sind ernstzunehmende Frage – Antwort – Konversationen
zu einer wahren Zitterpartie verkommen, trauen sich die einen nicht mehr, sich
eine Frage zu erlauben, wagen es die anderen nicht (mehr), auf diese mit einer
ehrlichen Antwort zu reagieren. Man belauert sich oder geht sich gleich ganz
aus dem Weg. Immer tiefer bohrt sich die Fräse der Verlogenheit in die
Eingeweide der Gesellschaft und schafft somit nicht nur oberfläch quarkende
Menschen, nein sie produziert zum einen eingeschüchterte Kreaturen, die sich
nun schon garnichts mehr trauen, zum anderen bringt diese Entwicklung wahre Lügner
hervor, die lieber etwas sagen, von dem sie glauben, der andere möge das hören
wollen oder durch einen Vollwaschgang ihres Hirnes, gänzlich von allem Blödsinn
überzeugt zu sein scheinen.
„Kindermund
tut Wahrheit kund“, sagt man und übersieht geflissentlich, daß gerade von den
Kindern, insofern sie noch Kinder bleiben durften, noch eine Menge wird lernen
können. Unvoreingenommen und völlig frei von Vorurteilen, stellen Kinder
Fragen, für deren Antworten sie noch gänzlich offen sind. Sie sind die Klügeren
dieser Gesellschaft, besitzen keine Wertungen, wollen wissen und beurteilen
nicht, sie stellen Fragen mit dem Anspruch auf ehrliche Auskunft – was bitteschön
ist so schwer daran, sich an den Kindern zu orientieren und es ihnen wieder
gleich tun zu wollen? Kinder haben keine Angst – sie wird ihnen gemacht. Leider
behalten sie diese durch das vorgelebte, oft verlogene Leben der Alten, bis ans
Ende ihrer Tage und bekommen niemals mehr einen wahren Eindruck dessen, was
echte Höflichkeit bedeuten kann.
Acht
kurze Jahre der Reife, nur wenige Worte einer Frage mit so viel Gewicht, deren
Sinnhaftigkeit so manch Klugscheißer auch sehr gut zu Gesicht stünde, wenn er
denn die Schmach seiner Stumpfsinnigkeit erkennen könnte. Verzeiht die Pauschalität
– Lehrer haben immer Recht, Ärzte und Anwälte ebenfalls, der Polizist, der
Richter und die nette Pummelfee aus dem Bürgerbüro ebenso – stellen die
sogenannten Experten schon lange keine Fragen mehr, lassen selbige sich nicht
mehr antragen oder geben, wenn es denn schon sein muß, nur auswendig gelernte
Floskeln von sich. Ein Kreislauf der puren Idiotie, legt so manches Kind den
Finger tief in die klaffende Wunde, die mit so mancherlei Blödsinn abgedeckt
werden möchte.
Frag
echte Kinder, wie sie sich dich wirklich sehen und laß sie fragen nach deiner
Ehrlichkeit, dann bekommst du womöglich nicht die Antwort, die du zu hören wünschest,
doch jene, um die Not noch wenden zu können.
Herzlichst
Ingo
Euer
ERFRIBENDER
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