Egon W. Kreutzer: Vierzehn Nothelfer – Keine Satire
Sonderbar oberflächliche Nachrichten aus Frankreich vermitteln den Eindruck, es gäbe bezüglich des Umgangs mit Mittelmeermigranten (3Ms) eine Bewegung in der EU. Die Hälfte der Mitgliedsstaaten, vierzehn an der Zahl, hätten einem „solidarischen Mechanismus“ zugestimmt.
Bei einer Übung verschiedener Wasserrettungsgruppen im Oktober 2017 im Marinestützpunkt Warnemünde werden Schiffbrüchige von einem Bundeswehrhubschrauber gerettet und an Bord des Seenotkreuzers «Arkona» gebracht.Foto: Bernd Wüstneck/dpa
Nahe dem oberfränkischen Staffelstein hat Balthasar Neumann die Basilika Vierzehnheiligen errichtet, genau an der Stelle, an welcher der Schäfer Hermann Leicht am 28. Juni 1446 seine dritte und letzte Vision erlebte. Kaum 600 Jahre später sind die 14 Nothelfer zurück. Sie nennen sich jetzt zwar, dem Zeitgeist entsprechend: „Koalition der Hilfsbereiten“, doch dass es wieder 14 sind, kann doch wohl kein Zufall sein.
Sonderbar oberflächliche Nachrichten aus Frankreich vermitteln den Eindruck, es gäbe bezüglich des Umgangs mit Mittelmeermigranten (3Ms) eine Bewegung in der EU.
Die Hälfte der Mitgliedsstaaten, vierzehn an der Zahl, hätten einem „solidarischen Mechanismus“ zugestimmt. Das heißt leider auch: Die andere Hälfte hat den „solidarischen Mechanismus“ abgelehnt – ob rundweg oder eher eckigweg ist nicht überliefert.
Von denen, die den Mechanismus nicht abgelehnt haben, haben sich immer noch acht bereit erklärt, sich aktiv zu beteiligen.
Das heißt leider auch, dass nicht 14, sondern tatsächlich 20 von 28 Mitgliedsstaaten, also mehr als zwei Drittel der Mitgliedsstaaten sich nicht beteiligen wollen.
Woran beteiligen? Wobei und wie beteiligen?
Das ist nicht Gegenstand der Nachrichten.
Dieses Verschweigen des eigentlichen Kerns und der wahren Absichten reicht vollkommen aus, um alle Alarmglocken schrillen zu lassen.
Auch was dabei „herauskommen“ soll, bleibt weitgehend im Dunkel. Das verzweifelte Unterfangen, auch noch an aussichtslosen Stellen nach Hinweisen zu suchen, führt zu Heiko Maas, dem Außenminister des ersten deutschen Staates ohne Außengrenzen, der die Hoffnung zum Ausdruck brachte, wenn „genug“ mitmachen, könne die Blockade der EU bezüglich der Seenotrettung schnell aufgelöst werden.
Darauf muss man erst mal kommen!
Das Problem, das acht von achtundzwanzig Mitgliedsstaaten lösen wollen, heißt: „Die Blockade der EU bezüglich der Seenotrettung“.
Weitere sechs sehen das Problem, sehen aber keinen Anlass, es zu lösen – und 14 Mitgliedsstaaten sehen vermutlich im „solidarischen Mechanismus“ die neueste Maskerade eines Problems, mit dem die EU seit vier Jahren erfolglos versucht, auch sie zu beglücken.
Der Ansatz ist falsch.
Vor dem „Wie?“ fehlen das „Ob?“ und das „Warum?“.
Wie kann man von Mitgliedsstaaten die Zustimmung zu einer wie auch immer gearteten Formel für die Zuteilung der
- von Schleppern
gegen hohe Geldbeträge
vor der Küste Nordafrikas
bewusst in Seenot manövrierten und dann
von „Seenotrettern“
aus humanitären Gründen aufgefischten Zuwanderer
erwarten, wenn man weder erläutert und begründet, warum sie Zuwanderer aufnehmen sollen, noch fragt, ob sie dazu bereit sind?
Nicht alle Mitgliedsstaaten der EU können sich glücklich preisen, von einer Persönlichkeit regiert zu werden, deren Mantra „Wir schaffen das!“ die Qualität einer selbst erfüllenden Prophezeihung hat.
Diese Überzeugungskraft, diesen kindlichen Glauben und das Vertrauen in Gottes schützende Hand hat schon Jean Claude Juncker – als Chef der Kommission von berechtigten Zweifeln geplagt – nicht mehr aufbieten können, und ob seine Nachfolgerin diese Formel nicht nur formschön aufsagen, sondern den Völkern Europas aus tiefstem Glauben heraus in die Herzen pflanzen kann, wie Merkel sie dem deutschen Volke ins Herz gepflanzt hat, das kann heute noch niemand wissen.
Dass Macron – einer der beiden großen Befürworter des „solidarischen Mechanismus“ – in der Zuwanderungsfrage Wasser predigt aber (gar nicht heimlich) Champagner säuft, ist ja nicht nur dem italienischen Innenminister Salvini übel aufgestoßen. Macrons Interesse dürfte einzig darin liegen, die EU mit der Kraft sämtlicher Mitgliedsstaaten als ein funktionierendes Werkzeug in seiner Hand zu wissen.
„Flüchtlinge“ interessieren ihn da nur, wenn die Debatte darum droht, die Einigkeit und Handlungsfähigkeit der EU zu stören. Dazu gab es am 13. Juli einen erhellenden Beitrag auf
Tichys Einblick.
Natürlich wird Macron weiter um seinen Deal kämpfen, weil es ihm um die Macht in und über Europa geht, doch dass er Frankreich ernsthaft und in nennenswertem Maße für Zuwanderer öffnen wird, darf bezweifelt werden.
Da sind von den achten, die sich aktiv beteiligen wollen, nur noch sieben übrig.
Luxemburg mag zwar innen größer erscheinen als außen, wird aber mit seinen rund 600.000 Einwohnern nicht wirklich in der Lage sein, nennenswerte Kontingente aufzunehmen. Das Großherzogtum können wir also getrost als irrelevant streichen.
Da waren’s nur noch sechs.
Litauen hat zwar gut viermal soviele Einwohner wie Luxemburg (2,78 Millionen), doch auch dieses Land ist als Aufnahmeland für nennenswerte Zuwandererzahlen ein glatter Ausfall.
Da waren’s nur noch fünf.
Selbst wenn man die nächsten vier – Portugal, Finnland, Kroatien und Irland – zusammenzählt, sind da nur 25 Millionen Menschen anzutreffen, also auch nur 5% der EU-Bevölkerung. Und selbst wenn die 5% der Zuwanderer aufnehmen wollten, ergeben sich zwei Fragen:
a) Wo sollen die übrigen 95% hin?
b) Wer sagt denn, dass die 5% auch in Portugal, Finnland, Kroatien und Irland bleiben werden, wenn sie erst einmal da sind?
Da waren’s nur noch eins.
Dieses eine ist nicht Italien, nicht Spanien, nicht Griechenland, nicht Polen, nicht Österreich …
Dieses eine, einzige Land, dessen Regierung ganz scharf darauf ist, dem eigenen Volk erzählen zu können, es gäbe nun eine gute, allgemein akzeptierte, EU-weite Einigung über die Verteilung der Flüchtlinge, die man selbstverständlich zu erfüllen gedenke, dieses Land ist, Sie ahnen es längst, genau das gleiche Land, dessen Parlamentarier sich in ihrem Parlamensgebäude so gefährdet sehen, dass sie zum eigenen Schutz vor dem eigenen Volk rings um sich und ihre Tagungsstätte herum einen zweieinhalb Meter tiefen und zehn Meter breiten Graben graben lassen wollen.
Wie weit ist es dann noch bis zu Selbstschussanlagen, Minenfeldern, Hundelaufanlagen, Wachtürmen …?
Ich weiß, man darf das nicht vergleichen.
Ich weiß auch, warum man es nicht vergleichen darf.
(Die Ähnlichkeit! Die gottverdammte Ähnlichkeit!)
Egon W. Kreutzer ist Unternehmensberater, Buchautor und Blogger
Euer ERFRIBENDER