„Die Lage ist ruhig
was Corona angeht,
aber uns fehlen Pflegekräfte
und Kapazitäten“
Die
Inzidenzen steigen und die Intensivbetten in der Bundesrepublik Deutschland
sind knapp. Immer mehr Pflegekräfte und Intensivmediziner fordern klare
Aussagen von der Bundesregierung und endlich den Mut zur Wahrheit. BYC-News hat
mit vier Pflegekräften der Unimedizin Mainz und dem Marienhaus Klinikum Mainz
(MKM) gesprochen.
In einem
Gespräch äußerten sich Pflegekräfte der Unimedizin Mainz und dem MKM gegenüber
BYC-News. Die ungenauen Zahlen und Umfragen passen seit Wochen nicht mehr zu
den Erlebnissen des medizinischen Personals und auch die Statistiken der
Corona-Zahlen werden immer ungenauer. Das Fachpersonal der Mainzer Kliniken
möchte nun endlich klare Worte aus der Politik.
„Wir
haben seit Monaten eigentlich eine ruhige Lage was die Covid-19-Patienten
angeht, nur sind wir unterbesetzt und das nicht erst seit der Corona-Pandemie.
Wir kommen schon an unsere Grenzen mit den Patienten ohne Covid-19 und da ist
jeder neue Intensivpatient, egal mit welcher Erkrankung, einer zu viel. Wir
können das nicht mehr stemmen und wollen es auch nicht mehr. Das Problem ist
nicht Corona, sondern die fehlerhafte Politik der letzten Jahre und die
Einsparungen im Gesundheitswesen. Es kündigen immer mehr Menschen ihren Job im
Bereich der Intensivmedizin und Pflege. Die Menschen werden älter und es bedarf
somit auch einer längeren Pflege. Man kann nur hoffen, dass die neue Regierung
das geregelt bekommt und endlich Nägel mit Köpfen macht. Es ist bereits zwölf
Uhr“, teilte uns eine der Pflegerinnen in einem telefonischen Meeting mit.
Lange
Wartezeiten und kein Personal
„Man muss
nur auf den Fall in Alzey schauen, da stehen 20 Betten leer, weil kein Personal
vorhanden ist. Die Betten sind abgeschrieben und sind nicht nutzbar. In der Stadt Ingelheim ist eine ganze Klinik geschlossen worden.
Es bekommt doch jeder in der Notaufnahme schon mit, lange Wartezeiten und kein
Personal da. Unsere Politik sollte endlich klare Worte finden und offen mit den
Problemen umgehen. Von Geklatsche und ständig neuen Zahlen, die nichts
aussagen, bekommen wir nicht mehr Geld oder Ausstattungen. Sagt den Leuten
endlich die Wahrheit und steht zu euren Fehlern“, fordert eine weitere
Pflegerin.
„Bundesweit
kündigen immer mehr ihren Job in der Pflege. In Mainz und im gesamten
Rhein-Main-Gebiet wird das in Zukunft der Fall sein. Das in den Medien oder in
der Politik anzusprechen, ist natürlich ein Problem. Stattdessen wird lieber
eine Pandemie vorgeschoben und vom eigenen Versagen abgelenkt. Liebe Politik
stellt euch hin und sagt klar und deutlich, dass ihr uns die letzten Jahre
sitzen gelassen habt. Das Problem besteht schon seit Jahren und nicht erst seit
kurzem. Wenn das nächste Virus oder eine andere Katastrophe kommt, sind wir
vollkommen aufgeschmissen. Wir, die Pflegekräfte, sind auch nicht länger der
Prellbock für euch. Denn schließlich sind wir und alle anderen Beschäftigten im
Krankenhauses, die den Druck von Patienten und Angehörigen abbekommen. Nicht
ihr. Erklärt doch mal dem Patienten, warum er mehrere Stunden in einer
Notaufnahme warten muss. Erklärt doch mal, warum immer mehr Intensivbetten
wegfallen. Wir möchten endlich Antworten! Der Druck in den Kliniken steigt
auch. Wir bekommen teilweise einen regelrechten Maulkorb verpasst von oben und
wir wissen nicht mehr was wir noch sagen dürfen.“
Gesundheitsamt
Mainz-Bingen total überfordert
Zudem
teilte uns ein Pfleger in dem Interview mit: „Schaut euch alleine das Vorgehen
beim Gesundheitsamt Mainz-Bingen an und die publizierten Corona-Inzidenzen.
Wenn sich ein Ungeimpfter als Verdachtsfall beim Gesundheitsamt meldet, wird
ein PCR-Test gemacht und der Fall registriert. Meldet sich aber ein Geimpfter
als Verdachtsfall beim Gesundheitsamt, bekommt er gesagt, dass das nicht so
schlimm sei und weder ein Test noch eine Quarantäne notwendig sei. Diese
Personen landen nicht einmal in der Statistik. Wenn man dann nachfragt, ob man
als positiv registriert wird, bekommt man nur gesagt, dass es nicht genug
Kapazitäten gebe und man als Geimpfter ja nur ein geringes Risiko sei. Die
Statistiken von den registrierten Corona-Fällen stimmen vorne und hinten
nicht.“
„Es steht
außer Frage, dass Ungeimpfte ein wesentlich höheres Risiko haben, aber
vermittelt doch keine unvollständigen Zahlen und Statistiken. Es wird noch der
Nährboden für Verschwörungen gedüngt und es werden Fake-News verbreitet.“ Der
Fokus müsse auf den Intensivbetten liegen und nicht auf den Inzidenzen, die
täglich präsentiert werden von Politik und Medien. Uns bringen auch
Statistiken, was Ungeimpfte oder Geimpfte gewählt haben, nichts. Dass 50
Prozent der ungeimpften Menschen die AFD wählen, bringt uns sicherlich nicht
weiter. Oder gibt es auch Statistiken, dass SPD-Wähler ein Alkoholproblem haben
oder CDU-Politiker Fleisch essen? Nein, weil es völlig irrelevant ist. Wir
brauchen Personal und eine ordentliche Bezahlung, das ist das Wichtige“
Großveranstaltungen
müssen abgesagt werden aus verschiedenen Gründen
„Ja, die Großveranstaltungen müssen abgesagt werden,
aber nicht alleine wegen Corona. Jeder Notfall bringt das Gesundheitssystem an
seine Grenzen und die kalte Winterzeit bringt weitere Krankheiten oder Unfälle
mit sich. Auch die 2G-Regelung bringt nachweislich nicht den erwünschten
Erfolg, sie fördert nur, dass Geimpfte sich trotz der Pandemie noch lockerer
verhalten. Das bedeutet nicht, dass man sich nicht impfen lassen soll, es kann
nur Vorteile haben und es mindert das Risiko von einem schweren Verlauf sehr
stark. Aber wir haben bald ein noch größeres Problem. Die psychischen
Erkrankungen und Depressionen steigen rasant an und das wird unser
Gesundheitssystem in Zukunft noch mehr strapazieren. An Fastnacht sind die
Notaufnahmen voll aufgrund von Verletzungen und Alkohol und weiteren Notfällen.
Das interessiert jedoch die Spaßgesellschaft dem Anschein nach sehr wenig.“
Auch der Bundestagsabgeordnete der SPD, Dr. Joe Weingarten fordert die Absage von
Großveranstaltungen.
Psychische
Erkrankungen nehmen zu
„Wir
fordern auch eine Statistik über die Zunahme der psychischen Erkrankungen, die
aufgrund der Pandemie und den Einschränkungen entstanden sind. Wir erleben
selbst, dass die Fälle sich mehren und wir damit mehr zu tun haben als mit dem
Virus selbst. Wir erleben Menschen, die aufgrund fehlender sozialer Kontakte
psychisch krank werden. Wegen dem sozialen Druck von außen, wirtschaftlicher
Ängste und vielem mehr. Menschen, die aufgrund einer Krankheit oder anderen
Umständen nicht geimpft werden können, werden ausgeschlossen. Es gibt auch in
der Psychotherapie keine Kapazitäten mehr. Wir haben Fälle, da muss ein Patient
mehrere Monate auf einen Termin warten, um Hilfe zu erhalten. Die Suizide haben
ebenfalls zugenommen, darauf möchten wir aber nicht weiter eingehen. Die
Zunahme von kranken Kindern wächst und der Druck im Elternhaus steigt stetig.“
Diskussion:
Ungeimpfte nicht oder zweitrangig behandeln
„Die
aktuelle Diskussion und die Einstellung, dass man Personen ohne Impfung erst
zweitrangig behandeln sollte, dass ist das menschenverachtendste, was wir in
den letzten Jahrzehnten erlebt haben. Wir könnten das gar nicht mit unserem
Gewissen vereinbaren. Wenn wir uns vorstellen, dass diese Vorgabe eintreffen
würde, dann werden wir dazu gezwungen, Menschen liegen bzw. leiden zu lassen.
Es ist wohl kaum einem bewusst was er da fordert von uns und unseren Kollegen“.
„Denn
auch im Medizinbereich gibt es genügend Menschen, die nicht geimpft sind. Wir
sind fest der Überzeugung, dass wenn es ein Ernstfall am eigenen Leib gibt oder
im Umfeld, dass dann der „Impfstatus“ vom Lebensretter keine Rolle spielt. Es
werden leichtsinnig Forderungen gestellt und nicht zu Ende gedacht. Es bilden
sich Gruppen, die keine andere Meinung zulassen. Man möchte sich nicht
vorstellen, dass ein Ungeimpfter nicht mehr dein Leben retten darf, denn es
wird umgedreht genauso gefordert. Ein Teil der Gesellschaft sollte dringend
nachdenken was sie fordert. Fordert eine gute Bezahlung für Lebensretter und
das bezieht sich auf alle Bereiche von der Feuerwehr bis hin zum
Pflegepersonal. Setzt das Wichtige in den Fokus und stellt diese Forderungen.
Dann kann man das Problem in den Griff bekommen! Mit dem nächsten Lockdown
bekommen wir keine zusätzlichen Kapazitäten auf den Stationen, sondern wir
holen uns in Zukunft noch mehr Patienten ins Haus, die wir nicht intensiv
betreuen können, weil weitere Kollegen und Kolleginnen ihren Beruf an den Nagel
hängen“
Appell
der Pflegekräfte
„Deshalb
unser persönlicher, gemeinsamer Appell an die Menschen: Geht wenigstens
untereinander vernünftig miteinander um. Wir erleben jeden Tag wie schnell das
Leben zu Ende sein kann. Wir sind 24 Stunden für euch da, macht es uns nicht
noch schwerer als es ohnehin schon ist. Irgendwann bricht auch die stärkste
Pflegekraft unter dem Druck von allen Seiten zusammen.“
Hinweis
der Redaktion: BYC-News hat mit den Beteiligten gesprochen und gibt in dem
obenstehenden Interview deren Erfahrungen wieder. Der Redaktion ist bewusst,
dass es hierzu auch andere Ansichten gibt, welche wir natürlich in weiteren
Interviews mit anderen Beteiligten ebenfalls aufgreifen werden.
Selbstverständlich wurde im Rahmen des Interviews auch überprüft, dass es sich
bei den Gesprächspartnern tatsächlich um Angestellte der Krankenhäuser handelt.
Die
Pflegekammer Rheinland-Pfalz teilt mit:
Flächendeckende
Krankenhausversorgung erheblich gefährdet – Weitere Belastung nicht
verkraftbar. Zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie liegt die
Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland bei einem Wert von über 300. Zudem
verzeichnet das RKI 43 weitere Todesfälle. Dementsprechend spitzt sich die
Situation in Kliniken und Einrichtungen weiter zu. Noch in dieser Woche will
der Bundestag unter anderem über Regelungen zur Sicherung in der
Krankenhausversorgung entscheiden. Dazu erklärt Dr. Markus Mai, Präsident der
Landespflegekammer Rheinland-Pfalz:
„Die Lage
ist in diesem Moment bereits deutlich angespannt und wird sich weiter
zuspitzen, sodass wir erneut mit einem sehr harten Winter rechnen müssen. Das
zeigt sich insbesondere in der beruflichen Pflege. Im formaljuristisch und
ökonomisch total verkorksten Krankenhauswesen soll jetzt auch noch die
Einführung einer Versorgungspauschale für die Versorgung von an Covid-19
erkrankten Patienten primär für eine Sicherung der Liquidität sorgen.
Offensichtlich hat man in Berlin das Augenmaß für eine verantwortliche
Finanzierung der Betriebskosten von Krankenhäusern verloren. Bei derartigen
gesetzlichen Regelungen wird die mittlerweile bedrohliche Belastungssituation
verkannt. Die angedachte Versorgungspauschale ist dabei nicht das Problem. Sie
ist hilfreich zur Abfederung der Kosten bei der umfassenden Versorgung von
Covid-Patienten. Sie reicht aber in keinem Fall aus, um der Belastung im
Pflegeberuf entgegenzusteuern, die trotz der Ausgliederung in ein Pflegebudget
bei anhaltendem Personalmangel weiter vorhanden ist.“
Krankenhäuser
können nicht einfach heute Personal entlassen und morgen wiedereinstellen
„Es muss
jetzt dafür gesorgt werden, dass auch für die Corona-Versorgung freigehaltene
Kapazitäten ausreichend finanziert werden, damit auch die Löhne überall gezahlt
werden können. Wir sprechen uns in diesem Zusammenhang für eine zusätzliche
Finanzierung – beispielsweise über eine deutliche Anhebung des
Pflegeentgeltwertes – aus, weil nur dadurch die Leistungsdynamik begrenzt
werden kann und die Einrichtungen auch sinnvoll Ressourcen für die Versorgung
der zunehmenden Covid-Patienten vorhalten und auch bezahlen können.
Krankenhäuser können nicht einfach heute Personal entlassen und morgen
wiedereinstellen. Letztlich fordern wir von der Politik die Überwindung des
unsäglichen auf mengenorientierte Leistung bezogenen DRG-Systems zugunsten
eines Systems, das Krankenhäuser und das bestehende Versorgungsumfeld als
Einheit betrachtet“, so Mai.
Euer ERFRIBENDER
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